Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
mich erinnerst.« Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Nur
scheint mir, dass sie von dir noch lernen könnte.«
Fletcher beobachtete einen Zug, der hinter dem Stahltor am Ende der Sackgasse irgendwohin in die Ferne fuhr. Die Luft war
bewegungslos. Er verfolgte die kleinen Blitze an der Oberleitung, die den Weg dieses letzten Zuges nach Norden in der Dunkelheit
nachzeichneten. Dann ließ er den Vorhang wieder vors Fenster fallen.
Er streckte sich auf dem Sofa in Cathleens Wohnzimmer aus. Sie schlief oben und Luke ebenso. Er schloss die Augen. Schweiß
sickerte über seine Lider. »Cathleen«, sagte er.
Er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte.
Samstagvormittag
Fletcher schlief fünf Stunden, bis die Sonne zwischen bronzegoldenen und roten Wolken so hoch stand, dass sie auf die Gleisanlage
fiel. Er zog das Laken über Cathleens Schultern und stand dann eine Weile da und betrachtete sie, weckte sie aber nicht auf.
In seine Wohnung zurückgekehrt, duschte er und zog ein blaues Baumwollhemd mit dunkelblauer Krawatte, seinen besten Anzug
und Schuhe mit Gummisohlen an. Er hatte vor, auf direktem Wege zur Hochzeit von Thinbeach zu fahren.
Das Telefon läutete.
Um acht Uhr dreißig fuhr Fletcher an Breakmans Firma vorbei durch die riesigen Getreidefelder, die sich links und rechts der
Straße erstreckten. Bei der zerfallenen Kirche sah er einen der Mähdrescher bei der Arbeit. Dort, wo die Weizenfelder den
Foliengewächshäusern wichen, stieg von der im Sonnenlicht schimmernden weißen Folie ein leichter Dunst auf.
Er bog von der Landstraße auf den Seitenweg ins Thinbeach Fen ein, wo Weiden- und Eschenzweige die Windschutzscheibe beschatteten.
Am Ende des Schotterweges trat ihm ein Polizeibeamter mit erhobener Hand entgegen und winkte ihn durch, als er ihn erkannte.
Sals Wagen war schon da, und dann entdeckte er auch Sal, die am Flussufer stand. Sportschuhe, Cargo-Hose, ein dünner Pullover,
das Haar zusammengebunden. Sie blickte zu Fletcher herüber und dann wieder auf den Fluss.
Zwei Polizeitaucher zogen gerade ihre Anzüge an, um sich in das schwarze Wasser hinabzulassen. Eine Herausforderungwar das nicht für die Taucher, eher so etwas wie eine Trainingsstunde am realen Objekt. Thomas Denton befand sich beinahe
in Reichweite. Er hatte sich am Fuß einer Weide verfangen, die tief in den Kanal hinauswuchs. Die Baumwurzeln ragten wie riesige,
verkrümmte Insektenbeine ins Wasser und drückten Denton unter der ausgewaschenen Uferböschung in den Schlick. Das große, selbstbewusste
Gesicht war nach oben gekehrt und in den Augen hatte sich Fen-Wasser gesammelt.
»Judith ist nicht zu erreichen«, sagte Sal. »In Deep House meldet sich niemand.«
Fletcher sah zu, wie die Froschmänner ins Wasser glitten. »Hier war Iwan am Werk. Wir müssen ihn aufhalten, bevor er sich
auch in Thinbeach ans Werk macht.«
Er warf einen letzten Blick auf Thomas Denton, den die Taucher gerade erreicht hatten. Thomas’ Kopf rollte zur Seite, und
das Wasser in seinen Augenhöhlen rann hinunter, um sich mit der Nordsee zu vereinigen.
Sie fuhren ein Stück über die Straße mit den Folientunneln und dann durch die Wiesen und Felder nach Thinbeach. Auf der gemähten
Wiese, die mit dem Schild »Hochzeitsbesucher« als Parkplatz ausgewiesen war, trafen schon die ersten Fahrzeuge ein, darunter
auch ein Wohnwagen, aus dem gerade eine Tänzergruppe kletterte – Moriskentänzer, und zwar die Sorte mit bemalten Gesichtern,
die für die Fens typisch und hier unter dem Namen Molly Dancers bekannt waren.
Weiter hinten, weit von den anderen Wagen entfernt, stand ein weißer Transit, dessen Dachventilator in der Hitze eifrig surrte.
Fletcher parkte neben Sal und klopfte dann einmal gegen die Hecktür des Transporters. Die Tür ging auf und entließ den Geruch
von Schweiß, das Knarren von Schutzwesten, Helmen und Schutzbrillen und den Anblick zerknitterter Uniformen. Zehn Augenpaare,
zehn Männer, die nur darauf warteten, dass es endlich losging. Fletcher hoffte inständig,dass sie umsonst warten mussten. Diese uniformierten Beamten waren der Mindestschutz, auf dem Webley bestanden hatte, falls
es nötig werden sollte, Iwan Gorenski und Berlitz mit Gewalt zu begegnen. Ein einziges Codewort von Sal oder Fletcher über
das Airwave-Gerät genügte, und diese Männer würden innerhalb von dreißig Sekunden über die Shamblings stürmen. Fletcher war
überzeugt, dass diese
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