Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
entdeckte Sal auch den jungen Mann wieder, der nicht so recht hierherzupassen schien und der Braut auch weniger Aufmerksamkeit
schenkte als die anderen Leute. Er grinste in sich hinein, was man unter seiner dunklen Schirmmütze deutlich sah, und trotz
der Hitze trug er eine wattierte Jacke, deren Reißverschluss zugezogen war. Dieser Mann war weder Berlitz noch Iwan, so viel
war klar. Als er den Kopf hob, bemerkte sie, dass er blitzschnell zur anderen Straßenseite sah. Sie drehte sich um. Auf dem
gegenüberliegenden Bürgersteig erblickte sie einen weiteren Mann mit dunkler Schirmmütze und wattierter Jacke, der ebenfalls
die vorbeiziehende Braut beobachtete.
Sal musste kräftig schlucken. Sie spürte, dass ihr Herz loshämmerte und ihre Handflächen feucht wurden. Sie drängte sich hinter
der Menschenmenge, die im Gefolge der Braut auf die Straße strömte, die Shamblings entlang. Und tatsächlich, im Tor des ersten
Fachwerkhauses unmittelbar vor ihr stand ein weiterer Mann mit Schirmmütze und wattierter Jacke – allerdings diesmal mit geöffnetem
Reißverschluss – und blickte sich nach rechts und links um. Das Kabel eines Ohrhörers verschwand in seinem Kragen.
Sal spürte, wie ihr der Schweiß den Hals hinunterrann. Das entsprach nicht der Abmachung – es war sogar das genaue
Gegenteil.
Sie war wütend, weil keiner sie informiert hatte. Was sollte sie jetzt tun? Sie nahm das Airwave-Gerät zur Hand und wählte
Fletchers Nummer. Na großartig – ein garantiert störungssicheres Netz, und sie kam nicht einmal zu ihm durch.
Jemand in der Menge schrie: »Was für ein tolles Weib.«
Von seinem Aussichtspunkt auf dem Damm beobachtete Fletcher, wie die Braut auftauchte und langsam über die Shamblings zog.
Er dachte an etwas, was Alain de Minching gesagt hatte –
dieses Jahr ist sie schöner denn je.
Als er das gigantische Gebilde zwischen den Fachwerkhäusern sah, deren Bewohner sich oben aus den Fenstern lehnten und ihr
nachschauten, fragte er sich, warum Alain sich diesmal für eine besonders große Puppe entschieden hatte. War es Trotz gegen
die Außenseiter, die Fremden, die anfingen, in der Vergangenheit zu wühlen?
Die Braut mit ihrem grinsenden Gesicht näherte sich dem Ende der Straße, schwankend, aber immer so gut wie möglich zum Damm
ausgerichtet. Einige Leute kletterten bereits den Damm hinauf, um besser sehen zu können, und ein paar versammelten sich um
die Grillstelle und schwelgten im Fleischduft. Alle sahen zu, wie die Braut unter den bunten Wimpelketten hindurchzog, die
zwischen den letzten Fachwerkhäusern gespannt waren, dann auch das Pub hinter sich ließ und auf der Höhe von Blindy House
ankam. Die sechs Männer machten Halt, und auch die Menge kam zum Stehen, das Gemurmel verstummte. Die Träger keuchten hörbar,
doch dies war mehr als eine Verschnaufpause. Die Haustür von Blindy House schwang auf.
Die Zuschauer reckten die Hälse, aber drinnen war es zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Gleich darauf tauchten die beiden
Wolfshunde auf, verharrten einen Moment und witterten, bevor sie zum Gartentor trabten. Man sah unter ihrem Fell die Muskeln
spielen. Dann trat Alain de Minching selbst aus dem Haus, in einen hellen Baumwollanzug mit aufgesetzten Taschenklappen gekleidet.
Unter dem geöffneten Kragen schimmerte die frisch rasierte, glatte weiße Haut.
Er blinzelte einen Moment lang ins Licht und lächelte dann, der Menge das Profil zuwendend. Selbstbewusst schritt er über
den Gartenpfad. Nachdem er das Gartentor geöffnethatte, blieb er stehen und ließ die Augen über die Straße wandern, die hechelnden Hunde links und rechts neben sich. Er sah
zur Braut auf. Dann blickte er sich mit erhobenen Augenbrauen in der Menschenmenge um, als wäge er etwas ab. Schließlich legte
er die Finger an die Lippen und blies der Braut einen Luftkuss zu.
Auf dieses Zeichen hin setzten sich die Träger wieder in Bewegung und wankten bis zur Böschung des Damms. Die Menge folgte
dichtauf – Alain voran, den Blick auf die Puppe geheftet.
Fletcher fürchtete, dass es nun so weit war. Falls Iwan wirklich einen Anschlag geplant hatte, wäre dies der richtige Moment.
Die Zuschauer drängten sich in den engen Shamblings, und Dutzende von Menschen wurden gegen die Fachwerkwände und die bleiverglasten
Fenster gedrückt, während die Leute weiter vorn sich am schmiedeeisernen Zaun von Blindy House vorbeizwängten. Der schmale
Durchgang war von
Weitere Kostenlose Bücher