Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
Menschen verstopft.
Fletcher ließ den Blick über die Menschenmenge wandern und versuchte, in die Seitenstraßen zu spähen – aus denen jeden Moment
Iwan oder Berlitz auftauchen konnten. Er spürte Schweiß auf den Schläfen.
Die Braut wurde ein paar Schritte die Böschung hinaufgetragen, und dann führte Alain die Leute aus der engen Gasse ins Freie,
und die Menge strömte hinter ihm her und verteilte sich erleichtert auf der grasbewachsenen Böschung. Kurz darauf waren nur
noch einige Nachzügler auf der Straße zu sehen: ein paar Molly Dancers und ein Mann mit Schirmmütze und wattierter Jacke,
der, wie Fletcher plötzlich bemerkte, mit Sal Moresby redete.
Er versuchte, Sal über Airwave zu erreichen – aber das verdammte Ding bekam keine Verbindung. Er sah, dass die Unterredung
zwischen dem Typen und Sal immer hitziger wurde und dass dieser Sal offensichtlich aufforderte, zu verschwinden.
Dann verlor Fletcher die beiden aus den Augen, weil inzwischen die Braut auf die höchste Stelle des Damms zuschwankte, von
einer Zuschauermenge umringt, die ebenfalls auf den Dammrücken drängte, mindestens hundert Menschen, die leise murmelnd darauf
warteten, dass die Puppe ins Wasser geworfen wurde. Das Fleisch brutzelte laut zischend über dem Feuer, dessen Glut unter
dem drückenden Himmel vor sich hin gloste.
Gleich darauf war die Braut selbst ganz oben auf dem Damm angelangt. Sie zeichnete sich deutlich vor den grauen und schwarzen
Wolkengebilden, die sich am Horizont ballten, ab. Die Träger blieben stehen, um Luft zu schöpfen, bevor sie den Abstieg auf
der anderen Seite in Angriff nahmen, und auch Alain de Minching blieb stehen und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß
vom Gesicht, während der Rest der Menge einen gewissen respektvollen Abstand hielt, so dass die Hunde Platz genug hatten,
sich links und rechts von ihrem Herrn niederzulassen. De Minching stand etwa dreißig Meter von Fletcher entfernt.
»Wer sonst noch?«
Fletcher fuhr herum.
Iwan stand unmittelbar hinter ihm. Er trug seinen Nadelstreifenanzug über den Armeestiefeln, und ein Hemd mit offenem Kragen
ließ die Narbe am Hals erkennen. Interessiert musterte er mit seinen mandelförmigen Augen die Szene: die glühende Feuerstelle,
die Braut, die sich nun schwankend die Böschung hinunterbewegte, ihre Träger, die sich gegenseitig Warnungen zuriefen, damit
keiner ausrutschte, die Zuschauer, die die Träger anfeuerten, und Alain in seinem maßgeschneiderten Safari-Anzug, der der
Menge nach unten voranging.
»Wer war außerdem noch an der Ermordung meines Vaters beteiligt?«
»Ich weiß genau, was geschehen ist. Wir werden den Mordaufklären, aber die Sache ist kompliziert. Beruhigen Sie sich erst einmal. So etwas braucht eine gewisse Zeit.«
»Wir haben keine Zeit.«
Hinter Iwan, in dem hohen Schilf, das die Zuflüsse und das Seeufer säumte, entdeckte Fletcher eine Bewegung. Es sah fast so
aus, als rauschte der Wind durchs Schilf, dabei war die Luft immer noch drückend schwül und völlig reglos.
»Was geht hier vor, Iwan?«
»Sie müssen mir sagen, wer beteiligt war, Polizist. Und zwar jetzt sofort.«
Wieder bemerkte Fletcher die gleiche Bewegung. Irgendetwas drang im Schutz des Schilfs rasch vor und näherte sich dem See.
Bei der Mündung des Zuflusses gab es eine schmale Lücke im Bewuchs, und in dieser Lücke entdeckte Fletcher nun das Gesicht
eines Mannes, der in verbissener Konzentration nach vorn starrte. Der Reißverschluss seiner Lederjacke war geschlossen und
der weiße Kragen seines Polohemds hochgeklappt.
Berlitz.
Fletcher schaute wieder zum Abhang des Damms. Die Braut näherte sich dem Ufer, und die Träger gaben ihr Letztes, um sie noch
einmal so hoch wie möglich in die Luft zu heben. Es waren nur noch ein paar Schritte, und gleich würden sie Anlauf nehmen,
um die Puppe mit Schwung ins Wasser zu schleudern.
Draußen auf dem Zufluss ertönte das Grollen eines mächtigen Motors, der gleich darauf wieder gedrosselt wurde. Fletcher erblickte
einen schlanken, weißen Bootskörper, der Gischt versprühend einen engen Bogen fuhr.
»Was hat er mit dem Boot vor?«
Iwan schaute gar nicht hin. Er beobachtete die Szene am Ufer, wo die Träger sich noch immer damit abmühten, die Braut höher
zu heben. »Sie lieben sie, nicht wahr?«, fragte Iwan. »Sie bedeutet ihnen alles. Tausend Jahre Geschichte. Jetzt aber nehme
ich sie ihnen weg.«
»Wie denn?«
»Ich töte die
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