Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
Braut.«
»Die Braut töten? Sie ist eine Strohpuppe.«
Iwan hob einfach nur die Hand und gab ein Zeichen. Am anderen Seeufer donnerte der Motor plötzlich so laut los, dass alle
auf dem Damm sich umdrehten und hinüberstarrten. Gleich darauf schoss das Boot auf den See hinaus. Es war nicht irgendein
Durchschnittskahn, sondern ein Profi-Rennboot – vermutlich aus einem Bootshafen von Cambridge gestohlen. Mit seinem tiefgezogenen
Rumpf und dem langen, schmalen Bug hob das Boot sich schon jetzt vorn aus dem Wasser. Berlitz stand im offenen Cockpit am
Steuer und lehnte sich seitlich hinaus, um unverstellte Sicht auf die Menschengruppe am Ufer zu haben.
Fletcher spürte, wie sich in seiner Kehlgrube der Schweiß sammelte. Er verstand sofort, worauf das Ganze hinauslief. Das Boot
raste genau auf die Braut zu, und da es schneller und immer schneller fuhr, musste der Bug schließlich so hoch aus dem Wasser
ragen, dass das Boot beim Aufprall aufs Ufer aufreiten würde. Die Rennmaschine würde aus dem Wasser heraus mitten in die Menschenmenge
hineinschießen. Ein fünfzehn Meter langes Boot mit einem Gewicht von ... vielleicht zwei Tonnen.
»Was ist damals geschehen, Polizist?«
»Tun Sie das nicht. Es ist unnötig.«
»Den Leuten passiert nichts. Sie müssen nur weglaufen.«
Unten am Ufer standen alle wie erstarrt und beobachteten das Boot, das, eine weiße Gischtfahne hinter sich herziehend, röhrend
über den stillen See auf die Braut zuschoss. Der Bug stieg noch höher aus dem Wasser und verspritzte schäumende Wasserspiralen.
In den wenigen Sekunden, die noch blieben, brach Panik aus, die Leute rannten schreiend, einander schubsend und über Gefallene
wegstolpernd los. Fletcher entdeckte zwischen den Flüchtenden auch Alains Hunde, nicht aber Alain selbst.
Die Träger hielten noch einen Moment länger stand, ergriffen dann aber ebenfalls die Flucht. Die Braut fiel mit einem dumpfen
Schlag auf den Boden, das riesige Gesicht mit dem starren Lächeln nach oben gerichtet und die Hände mit den Gerstenährenfingern
gespreizt. Im letzten Moment vor dem Aufprall des Bootes sah Fletcher, dass Berlitz sich hinkauerte und an der Reling des
Cockpits festklammerte. Dann rammte der Bug des Rennbootes das Ufer.
Das Krachen des Aufpralls hallte über den ganzen See. Die Unterseite des Bootes bäumte sich steil auf, Wasser und Pflanzenteile
versprühend, der scharfe Kiel war mit metallischem Schlamm überzogen. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte das Bild wie
eingefroren, dann kippte der Rumpf nach unten und knallte aufs Gras nieder. Er begrub die Braut von Thinbeach unter sich,
deren einer Arm abgerissen wurde und, Strohhalme verstreuend, durch die Luft wirbelte. Das Heck des Bootes tauchte in einem
Wirbel zerfetzter Wasserpflanzen aus dem Wasser, die Schraube heulte laut, bis sie sich, Metallsplitter und Torfklumpen in
alle Richtungen schleudernd, in den Boden fraß. Fletcher sah, dass einige der Flüchtenden von den herumfliegenden Trümmern
getroffen wurden und zu Boden fielen. Das Boot wurde vom eigenen Schwung noch etwa zwanzig Meter weit die Böschung hinaufgetragen,
bis es sich schließlich in den Hang bohrte und mit halb in die Erde gegrabenem Kiel liegen blieb. Was von der Schraube übrig
geblieben war, rotierte noch eine Weile wie rasend und blieb dann schließlich stehen. Aus den Lüftungsschlitzen stieg öliger
Qualm auf und sammelte sich zu einer dicken Wolke.
Berlitz setzte in einem sauberen Sprung über die Reling, stieg die Dammböschung hinauf und ging auf das Dorf zu – so schnell
und gelassen, dass es ihm gelang, sich unauffällig unter die verwirrte Menge zu mischen.
Iwan wandte sich Fletcher zu. Seine Augen waren vor Begeisterunggeweitet. »Haben Sie das gesehen? Ich habe sie getötet, Polizist. Ich habe ihr den verdammten Hals durchgeschnitten. Sie ist
tot – und alle hier wissen es.«
Fletcher versuchte, den vereinbarten Code über das Airwave-Gerät abzusetzen, obwohl er annahm, dass Sal das schon getan hatte.
Die Menschen um ihn herum standen unter Schock. Man half den von Trümmerteilen Getroffenen auf die Beine. Einige Verletzte
mussten liegen blieben und am Boden versorgt werden. Ein paar Dorfbewohner scharten sich um das Boot und betrachteten das,
was von der Braut darunter hervorschaute: eine Hand mit abgerissenen Fingern und eine Brust, um die sich ein Gewirr von Wasserpflanzen
aus der Schraube geschlungen hatte. Der Kopf war
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