Tod einer Verrückten
das Durcheinander roter Ziegeldächer vor der untergehenden Sonne hinausblickte, und vor der schmalen Nische links neben dem Herd hing ein fadenscheiniger geblümter Vorhang. All das registrierte der Maresciallo, ohne den Raum zu betreten, da ihm der Weg durch den Körper versperrt war, der unmittelbar hinter der Tür lag. Nach ein paar Sekunden stieg er darüber, um hineinzugelangen. Pippo blieb draußen vor der Tür .
»Wer hat ihr das draufgelegt? Sie?« Der Kopf war mit einem ausgewaschenen Geschirrtuch bedeckt, so daß nur ein Büschel grauer Haare zu sehen war .
»Was anderes konnte ich nicht finden. «
Der Maresciallo zog das Tuch weg und betrachtete das Gesicht, das nach oben gewandt war, als wollte es zu ihm aufschauen. Die Augen standen leicht offen, der Mund war nach einer Seite verzogen, und auf der Backe hatte die Frau einen dunklen Fleck. Er runzelte die Stirn und beugte sich über die Leiche. Sie lag auf der Seite, halb bedeckt von der geblümten Kittelschürze, vorn entblößt, und nun bemerkte er, daß sie deshalb offen war, weil sämtliche Knöpfe fehlten. Er mußte an die plumpe, nackte Gestalt denken, sprühend vor Leben und bebend vor Zorn, die ihren Nachbarn wild mit der dicken kleinen Faust gedroht hatte. Jetzt waren die fetten Arme seltsam nach hinten ausgestreckt, als hätte sie damit ihre Schürze zurückgestreift. Die Knie waren abgewinkelt und wiesen Flecken in demselben Weinrot auf wie die rechte Wange. Auf den schlaffen Brüsten befand sich jeweils ein ähnlicher Fleck .
Der Maresciallo richtete sich auf und strich sich seufzend mit seiner großen Hand übers Gesicht. Draußen auf der Straße verstummte eine heulende Sirene .
»Wo haben Sie sie gefunden? «
»Ich hoffe, ich habe nichts falsch gemacht …« Es läutete an der Tür. »Das sind die von der Misericordia … «
»Schon gut. Lassen Sie sie rein. «
Pippo drückte auf den Türöffner neben der Wohnungstür und kam wieder zurück .
»Also, wo haben Sie sie gefunden? Sie hat doch nicht hier gelegen. «
»Sie hätte ja noch am Leben sein können. Woher sollte ich das wissen? «
»Wo war sie? «
»Mit dem Kopf im Gasherd. Das habe ich … «
»Im Gasherd? «
Hinter Pippo tauchten vier schwarzgekleidete Männer von der Misericordia auf .
»Können Sie noch einen Augenblick warten?« Der Maresciallo warf einen Blick auf den Herd und das offene Fenster, wandte sich dann um und betrachtete noch einmal die rotweinfarbenen Flecken auf der bleichen Haut. Dann machte er den wartenden Männern ein Zeichen. Als sie verschwunden waren, sagte er zu Pippo: »Kommen Sie lieber herein.« Und als er merkte, daß es dem Mann widerstrebte, über das emporgewandte Gesicht zu steigen, breitete er das Geschirrtuch darüber .
»Ich möchte nicht gern … Zuvor war es was anderes, wissen Sie, da hab ich gedacht, vielleicht lebt sie ja noch. «
»Setzen Sie sich.« Es gab nur einen wackeligen Plastikstuhl .
»Bestimmt geht es Ihnen gleich besser. «
Pippo war so bleich, daß der Maresciallo befürchtete, er könnte umkippen oder sich übergeben. »Möchten Sie ein Glas Wasser? «
»Nein, nein, nichts. Allein die Vorstellung …« Als wäre alles in diesem Raum vom Tod verseucht .
»Erzählen Sie mir, was passiert ist, von Anfang an. «
»Ich wäre gar nicht raufgegangen, das kann ich Ihnen versichern, wenn Franco nicht gesagt hätte … «
»Lassen Sie Franco jetzt erst mal beiseite.« Anscheinend war der Barbesitzer in diesem Bezirk so eine Art Stammeshäuptling, der alle Entscheidungen traf. »Erzählen Sie mir so einfach wie möglich die Tatsachen in der Reihenfolge, in der sie sich ereignet haben. Niemand behauptet, daß Sie was falsch gemacht haben. Ich muß genau wissen, wie sich alles abgespielt hat. «
Dabei wußte niemand besser als der Maresciallo, daß genau das unmöglich war, weil einem nie jemand die ganze Wahrheit erzählte .
»Wenn heute kein Feiertag gewesen wäre, hätte irgend jemand früher was gemerkt, aber viele Leute waren über Mittag außer Haus, zu Besuch bei Verwandten und was weiß ich wo, und Franco hat heute vormittag auch nur für ein oder zwei Stunden aufgemacht, sonst … «
Der Maresciallo hockte sich auf die Tischkante und konnte nur hoffen, daß sie sein Gewicht aushielt. Das würde bestimmt eine längere Unterredung werden, und offensichtlich war es zwecklos zu versuchen, diesen Mann dazu zu bewegen, sich an die Tatsachen zu halten, wie denn Unterbrechungen in aller Regel dazu führen, daß
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