Tod einer Verrückten
»Ich habe ihn in der Toilette hinter der Bar eingesperrt, und zwei meiner Leute bewachen ihn. Nein, keine Sorge, er ist nicht bewaffnet, davon habe ich mich schon überzeugt. Aber ich dachte, Sie möchten ihn vielleicht loswerden, bevor der Krankenwagen eintrifft. «
Eine Krankenschwester kam herbeigeeilt, und der Maresciallo erhob sich. Aber sie ging achtlos an ihm vorbei und sprach mit der still vor sich hin weinenden Frau, die aufstand und ihr folgte. Trotz ihres Kummers war es ihr sichtlich peinlich, daß ihr keine Zeit geblieben war, sich ordentlich anzuziehen. Der Maresciallo bemerkte, daß sie keine Strümpfe trug und ihre Strickjacke über der Brust zusammenhielt, vielleicht um eine nicht allzu saubere alte Kittelschürze zu verdecken, die sie bei der Hausarbeit trug. Hatte ihr Mann einen Herzinfarkt gehabt? Wahrscheinlich. Und jetzt war er womöglich tot. Die Schwester hatte sie in einen kleinen, hell erleuchteten Raum geführt und die Tür geschlossen, aber trotzdem hörte er leises, erklärendes Gemurmel, unterbrochen von dem kummervollen und angsterfüllten Jammern der Frau. Dann wurde es still, und im Flur herrschte wieder Ruhe. Einmal meinte er das Quietschen einer fahrbaren Krankentrage zu hören und machte Anstalten aufzustehen, aber niemand kam .
Bruno hatte im Krankenwagen Sauerstoff bekommen. Was hatte das zu bedeuten? Jemand hatte gesagt: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe schon Leute erlebt, die Schlimmeres überstanden haben.« Schon komisch, daß Sanitäter, die immer so vernünftig und verläßlich wirkten, stets Fröhlichkeit verbreiteten. Warum eigentlich? Recht unwahrscheinlich, daß das ein Auswahlkriterium war. Vielleicht brachte es auch die Arbeit mit sich, aber merkwürdig war es trotzdem. Postboten waren ganz ähnlich, dabei war das eine völlig andere Art von Arbeit … Plötzlich fuhr der Kopf des Maresciallo hoch. War er eingenickt? Di Nuccio kam auf ihn zu, den Arm in der Schlinge. Er war noch ziemlich bleich, schien aber abgesehen davon ganz auf der Höhe zu sein .
»Wie fühlst du dich? «
»Prima. Es war nur eine Fleischwunde. Hätte schlimmer sein können, so wie der Gorilla zugeschlagen hat, als das Licht ausging. Trotzdem macht es keinen Spaß, zugeben zu müssen, daß ich mich selbst in die Schulter geschossen habe, egal unter welchen Umständen. Wie geht es Bruno? «
»Keine Ahnung. «
Di Nuccio setzte sich neben den Maresciallo .
»Was soll das heißen? Ruf dir ein Taxi, und sieh zu, daß du ins Bett kommst. «
»Ich kann nicht weg, bevor wir nicht wissen, was mit Bruno los ist. «
»Du gehörst ins Bett. Das kann die ganze Nacht dauern. «
Aber er ließ zu, daß Di Nuccio dablieb, weil er sonst allein hier gesessen und auf die Schwester gewartet hätte, die auf ihn zukommen würde wie auf die weinende Frau und sagen würde … Nein! Bruno war jung, gesund und voller Vitalität. Er würde es schaffen .
»Bruno wird es schaffen«, sagte Di Nuccio, als hätte er die Gedanken des Maresciallo erraten. »Er ist kerngesund. In seiner Bodybuilding-Phase hat er mir mal seine Hanteln geliehen, aber ich habe nicht ein Zehntel von dem geschafft, was er geschafft hat. «
Doch der Maresciallo dachte im stillen: Was nützen einem Muskeln, wenn das Gehirn geschädigt ist? Er sagte nichts, sondern starrte weiter die Wand an. Vieles ging ihm durch den Kopf, aber er fühlte sich wie betäubt. Die Mühe, die ihn das Sprechen kostete, zerrte an seinen Nerven. Er wünschte, Di Nuccio würde weiterreden, um die Stille zu füllen, allerdings nicht über Bruno. Und er wünschte sich, nicht zum ersten Mal bei diesem Fall, Lorenzini wäre hier. Der junge Brigadiere Lorenzini war nicht älter als Di Nuccio, aber irgendwie handfester .
»Glauben Sie, daß man hier irgendwo einen Kaffee bekommt?« fragte Di Nuccio .
»Was …? «
»Einen Kaffee. Oder wenigstens ein Glas Wasser. Mir ist ein bißchen elend. «
Der Maresciallo wandte sich ihm zu und dachte reumütig: Der Junge ist am Ende seiner Kräfte. Auch wenn es nur eine Fleischwunde ist, hat er ziemlich viel Blut verloren und sollte im Bett liegen und sich ausruhen; statt dessen sitzt er hier bei mir, wartet auf eine Auskunft über Brunos Zustand und leistet mir Gesellschaft. Und ich wünsche mir, daß statt seiner Lorenzini da wäre .
»Bleib sitzen«, sagte der Maresciallo. »Da hinten im Wartezimmer gibt es einen Getränkeautomaten. Ich hol dir was zu trinken. «
»Ich gehe schon. «
»Du bleibst sitzen. «
Nach dem
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