Tod einer Verrückten
ländlichen Bezirken benötigt wurden, wo die Leute auf den Dächern niedriger Bauernhäuser festsaßen, die bald unter Wasser stehen würden. Dort ertranken auch die meisten Menschen. Wir in der Stadt hatten mehr Glück, weil die Gebäude so hoch sind .
Sobald die starke Strömung nachließ, sahen wir eine dicke schwarze Ölschicht auf dem gelblichen Wasser schwimmen, die unsere Angst vor einem Brand noch verstärkte. Was hatten wir schon tun können, wenn im Haus ein Feuer ausgebrochen wäre? Dann wurde es allmählich dunkel. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn sich die Dunkelheit über eine Stadt senkt und kein einziges Licht angeht? Es war nicht nur beängstigend, es war unheimlich, zum Verzweifeln. An eine solche Dunkelheit sind die Menschen in zivilisierten Ländern nicht gewöhnt. Erst da, erst während wir Ausschau hielten und warteten und hofften, daß etwas geschah, irgend etwas, wurde uns klar, wie schlimm die Situation sein mußte. Nicht ein einziges Licht, Maresciallo. Und dann begannen überall Hunde zu heulen. Es hatte aufgehört zu regnen, und die Sterne waren heller, als man sie je über einer Stadt zu sehen bekommt, eben weil keine Lichter an waren. Da wir nicht wußten, was wir sonst hätten tun sollen, legten wir uns schlafen. Natürlich schlief niemand. Wir waren alle in der obersten Wohnung und machten es uns so gut wie möglich auf Stühlen und Teppichen bequem .
In der Nacht fiel der Wasserspiegel, und zurück blieb eine übelriechende Schlammschicht, und als es hell genug wurde, um etwas zu erkennen, gingen wir wieder hinunter, um festzustellen, wie groß der Schaden war. Mein erster Gedanke galt Anna. Ich fragte mich, ob sie unter all diesem Dreck begraben lag. «
»Und, war sie da? «
»Ja, aber gefunden haben wir sie nicht, da noch nicht. Mein Mann ist sofort hinuntergegangen – nicht daß wir damit gerechnet hätten, sie noch lebendig anzutreffen, er hatte nur gehofft, ihren Leichnam zu bergen, falls es ihn nicht weggeschwemmt hatte. Jedenfalls kam er nicht in die Wohnung hinein, weil das abfließende Wasser Regalbretter und Möbelstücke vor das zerbrochene Fenster gespült hatte, so daß es versperrt war, und die Tür war so aufgequollen, daß sie sich nicht öffnen ließ. Von der Straße aus sah er den schwarzen Ölrand, bis zu dem das Wasser gestiegen war. Er befand sich über der Decke von Chiaris Werkstatt. Draußen auf der Straße stand ein Panzer, und ein paar Soldaten riefen meinem Mann zu, er solle herunterkommen und mithelfen. Aus dem Haus, in dem die Explosion stattgefunden hatte, wurden Verletzte geborgen, und die Männer machten sich daran, die Hausfassade mit Balken abzustützen. Tote hatte es nicht gegeben – zum Glück wohnte niemand im Erdgeschoß, weil der Boden völlig durchgebrochen war. Mein Mann war fast den ganzen Tag draußen und hat den Soldaten geholfen. Wir anderen haben hier drinnen versucht, einen Teil des Schlamms mit Eimern hinauszuschaffen. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, aber wir machten trotzdem weiter, weil wir nicht wußten, was wir sonst hätten tun können. In allen Häusern in der Straße machten die Leute das gleiche, alle mit denselben fassungslosen Gesichtern. Es wurde nicht viel geredet, und niemand beklagte sich auch nur mit einem Wort. Als mein Mann am späten Nachmittag hereinkam, brachte er ein paar Männer mit. Keine Fachleute oder dergleichen, einfach Leute aus einer Bar an der Ecke, die unterwegs gewesen waren, um Mineralwasser auszuteilen. Ich muß sagen, die Leute waren großartig – wissen Sie, es war gar nicht einfach, auf den Straßen vorwärtszukommen. Eine halbe Million Tonnen Schlamm, hieß es in der Zeitung, das macht pro Einwohner eine Tonne, und alles verseucht mit Benzin und Abwässern und Tierkadavern … Wir haben Anna da unten lebend angetroffen. Zunächst erschien es uns wie ein Wunder, denn wir hatten gesehen, wie hoch das Wasser gestiegen war. Aber nachdem sie weggebracht worden war, fanden wir die Stelle … Wie in vielen dieser hohen, alten Häuser gab es Fehlböden, Sie wissen schon, Zimmerdecken aus Stroh und Verputz. Sie war auf einen alten, hohen Schrank geklettert, der zum Glück stehenblieb, weil die Wasserfluten das Bett dagegengedrückt hatten, und als das Wasser sie sogar dort erreicht hat, hat sie mit den Fingern ein Loch gebohrt … Es war gerade so groß, daß ihr Kopf hineinpaßte, und da hat sie gestanden, und das Wasser reichte ihr bis zum Mund. Wäre es nur zwei Fingerbreit
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