Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
fühlten uns so hilflos, weil wir von hier oben nur zusehen konnten, und ich glaube, schon da wußten wir, daß es hoffnungslos war. Aber wir hatten keine Ahnung, was wir hätten tun können, außer dieses nutzlose Bettuch hinunterbaumeln zu lassen .
    Dann gab es einen fürchterlichen Knall – der Heizkessel im Keller des Nachbarhauses explodierte –, und im selben Augenblick zersplitterte das Fenster, aus dem wir uns hinausbeugten, so daß wir uns übel geschnitten haben. Ich weiß noch, daß ich rücklings auf den Boden gefallen bin. Als ich wieder hinausgeschaut habe, war die kleine Elena verschwunden. Anna hat noch immer geschrien, aber ich weiß nicht, ob ihr überhaupt klar war, daß das Kind nicht mehr da war, weil sie das Gesicht an die Wand neben dem Fenster gepreßt hatte. Wir haben gesehen, wie sich ihr Mann ins Wasser stürzte und nach Elena schrie. Er war sofort verschwunden, tauchte aber wenig später ein Stück weiter hinten an einem Tisch auf, der sich zwischen Hauswand und einem Laternenpfahl verkeilt hatte. Wir haben noch gesehen, wie er die Arme ausgestreckt und versucht hat, sich daran festzuhalten. Vielleicht hätte es ihm das Leben gerettet, aber da schwemmten die Fluten einen umgekippten Bus an, der die Straße vollständig ausfüllte. Nachdem es ihn vorbeigespült hatte, war alles verschwunden, der Laternenmast, der Tisch und Signor Chiari .
    Erst da haben wir wieder nach unten geschaut. Anna war ebenfalls verschwunden. Wir waren überzeugt, daß der vorbeitreibende Bus sie vom Fensterbrett gerissen hatte, riefen aber noch eine Zeitlang nach ihr, weil wir die leise Hoffnung hatten, daß sie sich vielleicht doch in die Wohnung zurückgezogen hatte. Nach einiger Zeit gaben wir auf, denn inzwischen hatte das Wasser die Decke der Parterrewohnung erreicht und näherte sich unseren Fenstern. Wir mußten allmählich an uns selbst denken .
    Wir haben unsere Schnittwunden so gut wie möglich verbunden und sind mit ein paar Wertsachen, wichtigen Dokumenten und soviel Nahrungsmitteln, wie wir tragen konnten, ins oberste Stockwerk hinaufgegangen. Am meisten Angst hatten wir vor den Explosionen. Oben auf dem Haus gibt es einen Dachgarten, wo sich alle versammelt haben. Es war ein entsetzlicher Anblick. Überall stiegen schwarze Rauchfahnen auf und gewaltige Wassersäulen schossen in die Höhe, wenn wieder ein Abwasserrohr explodierte. Natürlich regnete es immer noch, und wir hockten da oben zusammengedrängt unter Schirmen und in Decken eingewickelt, weil es uns sicherer erschien als im Haus, denn in unserem Keller konnte es ja auch eine Explosion geben. Stunde um Stunde saßen wir da, zitterten und warteten auf Hilfe – vergeblich. Den Leuten ringsum auf den Dächern erging es ebenso, andere schauten ganz benommen aus den Fenstern im obersten Stockwerk. Vermutlich waren wir durchgeweicht und halb erfroren, denn immerhin hatten wir November, aber ich kann mich nicht erinnern, es gespürt zu haben. Das läßt sich schwer erklären, aber irgendwie befanden wir uns in einem Schwebezustand. Wir sprachen kaum miteinander. Wir warteten nur. Warteten auf Hilfe. Auf jemanden, der uns sagte, was zu tun war, der alles erklärte. Dann begannen die Autohupen zu plärren, Hunderte auf einmal, als würde die ganze Stadt in lautes Gejammer und Wutgeheul ausbrechen. Eine Zeitlang heiterte uns das auf, weil der Eindruck entstand, als seien da draußen Menschen und Autos, als täte sich etwas, und da dachten wir, daß unser Bezirk der einzige war, der unter Wasser stand, und der ganze Lärm nur bedeuten konnte, daß Hilfe unterwegs war. Aber das Getöse ging ununterbrochen weiter, ohne Pause, bis es uns allmählich seltsam und unwahrscheinlich vorkam, daß so viele Leute ununterbrochen auf ihre Hupen drückten. Wir wären nie im Leben darauf gekommen, daß die ganze Stadt ertrank und die vielen hundert Autos, deren Hupen so jaulten, herrenlos waren und von den Wasserfluten mitgerissen wurden, die ihre Stromkreise kurzgeschlossen hatten … Irgendwann sind wir ins Haus gegangen, um etwas zu essen und wieder trocken zu werden. Offenbar hatte der Hunger unsere Angst besiegt. Es gab weder Gas noch Elektrizität noch Wasser, und auch die Telefone funktionierten nicht mehr. Wir kehrten aufs Dach zurück und warteten. Am späten Nachmittag hörten wir Hubschrauber, allerdings ohne sie zu sehen, und begannen wieder zu hoffen. Doch sie kamen nicht einmal in unsere Nähe. Später erfuhren wir, wie dringend sie draußen in den

Weitere Kostenlose Bücher