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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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für regionale Akzente. Trotzdem hätte ich gedacht, daß auch die überregionalen Zeitungen über eine solche Tragödie berichten. Obwohl es natürlich stimmt,, daß damals so viele schreckliche Dinge passiert sind, so viele Leute sind verbrannt – und dann war da dieser arme Mann, dessen Leiche vierundzwanzig Stunden am Hausdach hing. So etwas vergißt man im Leben nicht mehr. «
    Einen Augenblick lang hatte der Maresciallo den Eindruck, daß sie vom Krieg sprach und ein bißchen durcheinander war. Das war vierzig Jahre her, keine zwanzig. Doch bevor man ihm seine Verlegenheit über ihre Verwirrung anmerkte, fielen ihm die Worte des Fischhändlers ein, der ihn hierher geschickt hatte: »Noch ein paar solche Gewitter wie gestern, und wir müssen Wasser schöpfen wie Sechsundsechzig. «
    Die Überschwemmung … Aber sie hatte davon gesprochen, daß Menschen verbrannt sind … »Sind der Mann und das Kind bei der Überschwemmung ums Leben gekommen? «
    »Alle beide, die Armen. Es war ein Wunder, daß Anna nicht auch gestorben ist. In gewisser Weise könnte man ja sagen, daß sie gestorben ist, denn danach war sie nicht mehr derselbe Mensch. Da sie im Parterre gewohnt haben … Natürlich haben sie geschlafen, als die Uferdämme brachen, es war ja noch früh am Morgen. Das Wasser stieg so schnell, daß sich die Türen nicht mehr öffnen ließen, als sie schließlich aufwachten. Es war schon sehr merkwürdig, und ich muß noch oft daran denken, aber in dieser Nacht habe ich geträumt, daß im ganzen Haus Wasser über die Treppen herunterläuft wie über die Terrassen der großen Brunnen. Das mit dem Wasser im Haus war kein Traum, nur diese Wasserkaskaden auf den Treppen. «
    »Vielleicht haben Sie im Schlaf den Regen gehört. «
    »Das könnte sein. Es hat tagelang ununterbrochen geregnet. Aber vielleicht lag es auch daran, daß wir am Abend zuvor einen Film mit dem Titel Die Bibel gesehen hatte. Wir sind an dem Abend ausgegangen, weil der Vierte ein Feiertag war, und wir wollten, wie die meisten Leute, ausschlafen. Wir konnten ja nicht ahnen, was passieren würde. Jedenfalls, als ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, noch zu träumen. Ich weiß nicht genau, wovon ich aufgewacht bin, ob von den ersten Explosionen oder vom Rauschen des Wassers oder weil Annas Mann aus dem Fenster unter uns um Hilfe rief. Sie hatten zunächst versucht, in den kleinen Hinterhof hinauszukommen, weil die Wasserfluten die wenig robuste Tür eingedrückt hatten, aber damit erreichten sie lediglich, daß noch mehr Wasser ins Haus strömte. Wären sie zu dem Zeitpunkt aus der Wohnung hinausgelangt, wären sie alle drei auf der Stelle umgekommen, weil das Wasser mit sechzig Stundenkilometern dahinschoß und Baumstämme und Autos und alle möglichen Trümmer durch die schmalen Straßen geschwemmt hat. Das hätte kein Mensch überlebt .
    Ich weiß nicht, ob ihnen das klar war, aber jedenfalls hockten sie auf dem Fensterbrett, während das Wasser an ihnen vorbeirauschte, und schrien. Wir hatten kein Stück Seil im Haus, aber mein Mann kam auf die Idee, ein paar Bettücher zusammenzuknoten. Er schrie zu Signor Chiari hinunter, er solle die kleine Elena ans Ende des Bettuchs binden. Natürlich war das furchtbar gefährlich, aber was hätten wir sonst tun können? Das vorbeirauschende Wasser stieg von Sekunde zu Sekunde und hätte sie bald mitgerissen. Aber seine Stimme war unten nicht zu hören. Das lag nicht nur am Wasser, sondern an den Explosionen, die inzwischen eingesetzt hatten, und an der Tatsache, daß Anna völlig hysterisch war und alles noch schlimmer machte, weil sie ununterbrochen schrie. Bei jeder Explosion schossen riesige Wasserfontänen empor. Die Abwasserkanäle explodierten und die Gasleitungen und die Heizkessel, aber uns kam es vor wie das Ende der Welt, zumal es uns im Schlaf überrascht hatte und wir noch zu benommen waren, um zu begreifen, was geschehen war. Ob Signor Chiari uns hören konnte oder nicht, jedenfalls hat er versucht, der kleinen Elena das Bettuch unter den Armen umzubinden. Vermutlich hört sich das einfach an. Solche Sachen sieht man ständig im Fernsehen, stimmt’s? Aber in Wirklichkeit war es unmöglich. Die Strömung zerrte an ihren Beinen, und er umklammerte mit einem Arm das Kind und mit dem anderen einen Fensterladen. Wie konnte er ihr da das Bettuch umbinden? Sooft er danach griff, mußte er es wieder loslassen und sich am Fensterladen festhalten, und Anna schrie und schrie, statt ihm zu helfen. Wir

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