Tod eines Fremden
kam Jessop wieder vorbei, um noch einmal mehr Miete zu verlangen. Er stand, die Daumen in die Armlöcher seiner roten Brokatweste gehakt, mitten im Raum, wollte ihnen Einschränkungen auferlegen und wurde richtig lästig. Die wenigen Patientinnen beschwerten sich schon über seine Anwesenheit. Er verunsicherte sie, denn er verkörperte, wenn auch nur am Rande, die Autorität. Hester wies ihn darauf hin und bat ihn zu gehen. Er lächelte zufrieden und blieb umso länger, bis Bessie die Geduld verlor und den Eimer mit heißem Wasser, Lauge und Essig füllte. Sie machte sich daran, den Fußboden zu schrubben, und schüttete dabei den Inhalt des Eimers absichtlich über seine Stiefel, sodass er sich verärgert davonmachte. Dann unternahm Bessie noch einen eher halbherzigen Anlauf, den Fußboden zu putzen, doch schon nach ein paar Quadratmetern schüttete sie das Wasser weg. Sie und Hester legten sich in zwei leere Betten schlafen, wobei sie den größten Teil der Nacht nicht von Patientinnen gestört wurden und nur zweimal aufstanden, um Alice zu helfen.
»Ich habe ihm das Messer auch noch selbst in die Hand gedrückt!«, sagte Margaret zerknirscht, als Hester ihr früh am nächsten Morgen von Jessops Besuch erzählte. Sie kam kurz nach neun, als Bessie schon unterwegs war, um ein paar Einkäufe zu erledigen.
Margaret war zu aufrichtig, als dass Hester sie mit Ausflüchten hätte abspeisen können. Heute vor allem hatte sie das brennende Bedürfnis, ehrlich zu sein.
»Ich fürchte, ja«, sagte sie, jedoch mit einem entschuldigenden Lächeln, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. Sie waren damit beschäftigt, von den benutzten und gewaschenen Binden die auszusortieren, die noch zu brauchen waren, denn sie konnten sich keine unnötigen Ausgaben leisten. »Aber ich glaube, dass es bald keinen Unterschied mehr macht. Wir müssen so schnell wie möglich eine neue Bleibe finden. Bei der ersten Gelegenheit wird er uns rausschmeißen. Das hat er doch schon immer gewollt.«
Margaret antwortete nicht. Ihre Finger bewegten sich flink über die Stoffrollen, warfen einige weg, legten andere zur Seite. »Was sollen wir in Bezug auf die Wucherer und die misshandelten Frauen tun?«, fragte sie schließlich.
Genau darüber hatte Hester nachgedacht, seit sie von Alice die Wahrheit erfahren hatte, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie allein nichts tun konnten, was die Situation nicht noch schlimmer gemacht hätte. Wucherei war kein Verbrechen, das vom Gesetz auf dem gewöhnlichen Weg verfolgt werden konnte. Sie hatte verschiedene Ideen durchgespielt, aber noch keinen in sich geschlossenen, durchführbaren Plan gefasst.
An diesem Morgen fühlte sie sich angesichts des Schmerzes noch hilfloser als sonst, weil ihr eigenes Glück getrübt war, ihr Selbstvertrauen überschattet von der Tatsache, dass Monk eine Distanz zwischen ihnen aufgebaut hatte. Etwas schmerzte ihn, und er war nicht fähig, sich ihr mitzuteilen.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte sie laut. Sie fasste einen Entschluss. »Jemanden, der das Gesetz sehr viel besser kennt als wir.«
»Mr. Monk?«, fragte Margaret schnell.
»Nein, ich meinen einen Anwalt.« Hester wollte nicht zulassen, dass der Gedanke, sich nicht an Monk zu wenden, ihr wehtat. »Jemand, der sich mit Wucherei und derlei auskennt«, antwortete sie. »Ich glaube, sobald die Anwaltsbüros offen haben, sollten wir uns auf den Weg machen. Bis dahin ist Bessie zurück, und ich halte es für unwahrscheinlich, dass am Vormittag jemand kommt, der nicht auf unsere Rückkehr warten könnte.«
»Aber wer sollte sich für Fälle wie den von Fanny oder Alice interessieren?«, wollte Margaret wissen. »Zudem haben wir kein Geld übrig. Es ist bereits alles für Miete und Material verplant.« Sie sagte das sehr bestimmt, nur für den Fall, dass Hester etwas Unpraktisches im Sinn hatte und ihre Prioritäten aus dem Auge verlor.
»Ich weiß zumindest, wo wir anfangen können«, sagte Hester sachlich. »Und das Geld für unsere Ausstattung werde ich nicht ausgeben, versprochen.« Sie wollte Margaret noch nicht sagen, dass sie vorhatte, Sir Oliver Rathbone aufzusuchen. Er war einst kurz davor gewesen, Hester zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Er hatte gezögert und die Worte dann nicht ausgesprochen. Vielleicht hatte er in ihrer Miene gesehen, dass sie noch nicht bereit war, eine solche Entscheidung zu treffen, oder auch, dass sie nie jemand anderen mit der gleichen Heftigkeit und Magie lieben würde wie Monk. Sie
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