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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Square, aber das war im Augenblick nicht wichtig. Überall in der Gegend lagen die Nerven der Menschen bloß, also kam es zu etlichen Streitereien, und viele schlugen vor Enttäuschung oder Angst um sich, aber die Opfer waren meist Männer, und die Verletzungen waren von der Art, die mit der Zeit ohne viel Aufhebens heilten – blaue Flecken, leichte Schnittwunden und Kopfschmerzen. Die Zuhälter achteten mehr darauf, ihren Frauen keine blauen Flecken oder Schnittwunden zuzufügen, waren sie doch ihr einziges Kapital auf einem schrumpfenden Markt.
    Natürlich wussten alle, dass das nicht ewig so weitergehen würde, aber es dauerte schon lange genug, um einigen das Leben wirklich schwer zu machen. Das Ende war noch lange nicht in Sicht, sie lebten von einem Tag zum nächsten.
    »Wie geht es Fanny?«, fragte Hester, als sie aus dem Nieselregen hereintrat und Mantel und Hut ablegte. »Und Alice?«
    »Leidlich«, antwortete Bessie, die an dem bis auf ihre halb ausgetrunkene Tasse Tee leeren Tisch saß und ihr einen unheilvollen Blick zuwarf. »Ruhig ist es. Wie auf einem verdammten Friedhof. Hatte zwei Mädchen mit Krankheiten hier, das war alles. Kann nicht viel für sie tun, die armen Dinger. Miss Ballinger ist noch nicht da. Täte mich nicht wundern, wenn sie da draußen in den feinen Häusern unterwegs wäre. Hab noch nie erlebt, dass sich jemand so verändert hat!« Sie sagte das mit grimmiger Befriedigung und ohne das leiseste Lächeln. »Als sie das erste Mal hier reinkam, kriegte sie den Mund nicht auf. Und jetzt ist sie frech wie Oskar. Fragt jeden nach Geld. Ich wette einen Sixpence, dass sie mit 'nem Grinsen im Gesicht hier reingetanzt kommt und uns erzählt, sie hat wieder 'n paar Pfund für uns aufgetrieben.«
    Hester lächelte, trotz des trüben Morgens. Es stimmte, Margaret hatte bei der Arbeit sehr viel Selbstsicherheit und Freude entwickelt. Abgesehen von ihren Heilversuchen an Patientinnen, die sich womöglich hinterher nur wieder in die gleichen Schulden und Misshandlungen zurückbegaben, war das allein schon eine Leistung.
    Bessie hatte Recht; eine halbe Stunde später kam Margaret herein und strahlte eine Zufriedenheit aus, die wie ein heller Sonnenstrahl war.
    »Ich habe zwanzig Guineen!«, sagte sie stolz. »Und das Versprechen auf mehr!« Sie hielt sie Hester mit strahlenden Augen und glühendem Gesicht hin.
    Hester musste sich zwingen, den Erfolg anzuerkennen, da sie selbst das Gefühl hatte, auf der ganzen Linie zu versagen. »Das ist hervorragend«, sagte sie lobend. »Das wird Jessop 'ne Weile in Schach halten und gibt uns Zeit. Vielen Dank.«
    Margaret machte ein gequältes Gesicht. »Sie werden ihm doch nicht etwa mehr gegeben als verabredet?«
    Hester entspannte sich ein wenig, sie musste fast lachen. »Nein, ganz sicher nicht!«
    Margaret erwiderte ihr Lächeln und machte sich daran, Jacke und Hut auszuziehen. »Was können wir heute tun? Wie geht's Fanny und Alice?« Dabei schaute sie zu den Betten hinüber.
    »Schlafen«, antwortete Bessie für Hester. »Sie können nichts für sie tun, außer dafür zu sorgen, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, und ihnen ab und zu mal was zu essen zu geben.« Sie runzelte die Stirn über den Regen, der ans Fenster klatschte. »Ich nehme an, das Beste, was ich tun kann, ist, zum Markt zu gehen.«
    »Bleiben Sie noch eine Weile im Trockenen.« Hester fasste einen Entschluss. »Margaret und ich haben in einer halben Stunde einen Botengang zu erledigen. Einen wichtigen.«
    Bessie war misstrauisch. »Ach ja?« Sie traute Hester nicht zu, dass sie auf sich aufpassen konnte, aber sie wagte es nicht, das offen auszusprechen. »Und was haben Sie vor, was ich nicht für Sie erledigen könnte?«
    Was Hester jedenfalls nicht vorhatte, war, Bessie ins Vertrauen zu ziehen, zum Teil aus reiner Vorsicht und zum Teil auch, weil sie sich nicht sicher war, ob ihr Plan Aussicht auf Erfolg hatte. Jetzt überlegte sie es sich plötzlich anders und beschloss, aufrichtig zu sein.
    »Wenn wir dieses Problem, dass die Polizei überall herumläuft und die Frauen deswegen keine Arbeit haben, lösen wollen«, sagte sie forsch, bevor sie die Nerven verlor, »müssen wir herausfinden, was Nolan Baltimore zugestoßen ist.« Sie achtete weder auf Margarets ungläubigen Blick noch auf Bessie, die die Luft durch die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen einsog. »Ich habe vor, wenigstens ein paar Fragen zu stellen. Mit mir reden die Leute vielleicht eher als mit der

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