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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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beiden lächelten leicht.
    Aber auf dem Heimweg und für den Rest des Abends, bis Monk müde nach Hause kam, dachte Hester über die Frauen und die Polizei in der Gegend um die Farringdon Road und den Coldbath Square nach. Die Polizeipräsenz wieder zu reduzieren wäre keine moralische Antwort auf das Böse, sondern eine praktische Antwort auf den Rückgang der Geschäfte, der alle lähmte und die Gemüter erhitzte.
    Sie hatte versucht, nicht zu diesem Schluss zu kommen, aber er war zwangsläufig: Das Einzige, was die Polizei vertreiben würde, war die Aufklärung des Mords an Nolan Baltimore. Wenn die Polizei dazu fähig wäre, hätte sie es inzwischen längst geschafft. Das Viertel hatte sich, wie nicht anders zu erwarten, gegen sie verschworen. Keiner würde etwas Wichtiges verraten, um sich nicht mit Prostitution oder dergleichen zu belasten. Die meisten Bewohner der Gegend um die Leather Lane hatten, zumindest am Rande, damit zu tun. Da wurde mit gestohlener Ware gehandelt und Geld gefälscht und manchmal auch Papiere, es gab Taschendiebstähle, Einbrüche, Falschspielerei und ein weiteres Dutzend ungesetzlicher Betätigungen.
    Wenn sie Monk schon nicht um praktische Hilfe bitten konnte, so doch wenigstens um einen Rat. Er kannte sich mit Mord aus und wusste, wie man ermittelte. Vielleicht lag es auch im Interesse seines eigenen Falles, so viel wie möglich über den Mann zu erfahren, der bis vor ein oder zwei Wochen dem Unternehmen Baltimore und Söhne vorgestanden hatte. Von einem Betrug hätte er sicher gewusst; womöglich hatte er ihn sogar selbst begangen. Dass sein Tod etwas damit zu tun hatte, klang doch gar nicht so abwegig?
    Der unangenehme, hässliche Gedanke, dass Michael Dalgarno ihm in die Leather Lane gefolgt war und ihn umgebracht hatte, war de facto unwiderlegbar, denn er wusste von dem Betrug und hätte ihn aufgedeckt.
    Warum hatte Monk das nicht in Erwägung gezogen?
    So beschäftigt war er herauszufinden, worin der Betrug bestand und ob er eine Katastrophe auslösen konnte, dass er den Mord an Nolan Baltimore einfach ignorierte.
    Sie wartete auf ihn, ohne viel darüber nachzudenken, was sie noch tun könnte. Ab sechs Uhr lauschte sie auf Hufgeklapper auf der Straße, auf das Öffnen und Zuschlagen der Tür und auf seine Schritte. Als sie schließlich gegen Viertel vor acht zu hören waren, war sie doch überrascht und stürzte fast in die Halle.
    Er sah ihr erwartungsvolles Gesicht, schenkte ihr ein kurzes Lächeln und sah dann weg. Seine Müdigkeit und Besorgnis waren so offenkundig, dass sie einen Augenblick unsicher zögerte, ob sie mehr sagen sollte als ein paar Worte zur Begrüßung. Sollte sie ihn fragen, ob er hungrig war oder ob er gegessen hatte, oder ihm eine Frage nach seinen Fortschritten stellen, die er mit ein paar höflichen Worten beantworten konnte – oder auch ehrlich, falls er das wollte? Sie konnte es nicht einfach auf sich beruhen lassen. Wenn er die Mauer nicht einriss, musste sie es tun.
    »Hast du noch etwas über den Betrug herausgefunden?«, fragte sie, und zwar nicht beiläufig, sondern so, als warte sie dringend auf eine Antwort.
    »Nichts, was mir weiterhilft«, antwortete er, zog sein Jackett aus und hängte es an den Haken. »Es gibt zweifelhafte Gewinne beim Ankauf von Land, aber vermutlich nicht mehr als bei den meisten Gesellschaften. Es gibt auch einige Verluste.«
    Ihr war, als hätte er eine Tür geschlossen. Es gab kaum noch etwas, was sie fragen konnte, aber sie wollte noch nicht aufgeben. Sie sah ihm zu, wie er rastlos im Zimmer herumging, ohne sie direkt anzusehen, Dinge anfasste, sich aufrichtete, sie wieder wegstellte. Bemutterte sie ihn genau dann, wenn er eher das schweigende Verständnis eines Freundes brauchte? War sie selbstsüchtig, weil sie erwartete, dass er ihr seine Aufmerksamkeit widmete, ihr zuhörte, über ihre Probleme nachdachte, wenn er erschöpft war?
    Oder wollte sie nur rechtzeitig die Mauer durchbrechen, solange diese noch dünn und leicht zu bezwingen war, bevor das Schweigen zur Gewohnheit wurde?
    »Wir müssen herausfinden, wer Nolan Baltimore umgebracht hat«, sagte sie sehr deutlich.
    »Tatsächlich?« In seiner Stimme schwang Zweifel mit. Er stand beim Kaminsims und schaute in die glühenden Kohlen. Es war ein frostiger Abend, und sie hatte das Feuer angefacht, um es warm und gemütlich zu haben. »Ich wüsste nicht, was seine persönliche Schwäche mit einem Eisenbahnbetrug zu tun haben sollte, falls das überhaupt

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