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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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stimmt.«
    »Wenn er jemanden um Geld betrogen hat, dann ist die Leather Lane doch ein ausgezeichneter Ort, um ihn umzubringen«, erwiderte sie und wünschte, er würde sie anschauen. »Perfekt, um den Verdacht in eine andere Richtung zu lenken, und obendrein eine hübsche Revanche zu Lasten seines guten Rufes.«
    Diesmal schaute er auf und lächelte, aber ohne Freude. Einen kurzen Augenblick flackerte in seinen Augen Offenheit auf, als hätte es keinen Schatten gegeben, dann war sie wieder verschwunden. Die Besorgnis war wieder da, und damit die Distanz zwischen ihnen.
    »Mit ›wir‹«, verbesserte Hester sich, »habe ich eigentlich Margaret Ballinger und mich gemeint. Oder vielleicht uns alle in Coldbath. Immer mehr Frauen werden verprügelt, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Überall ist Polizei, sodass niemand Geschäfte macht.«
    »Du möchtest also herausfinden, wer Baltimore umgebracht hat, damit die Polizei verschwindet und die Prostituierten wieder ihrem Geschäft nachgehen können«, sagte er mit einem Anflug von Spott, der ihr nicht entgehen konnte. »Du hast ja merkwürdige moralische Überzeugungen, Hester.«
    War das in seiner Stimme jetzt Schmerz? Hatte sie ihn enttäuscht? Hätte sie einen puritanischeren Standpunkt einnehmen müssen? Er war frustriert, und sie fühlte sich zurechtgewiesen.
    »Wenn ich die Welt verändern könnte, damit keine Frau mehr als Prostituierte arbeiten müsste, würde ich das tun!«, sagte sie wütend. »Vielleicht kannst du mir verraten, wo ich anfangen soll? Vielleicht jeder Frau ein anständiges Auskommen durch ordentliche Arbeit besorgen? Oder verhindern, dass Männer sich ihr Vergnügen außerhalb der eigenen vier Wände kaufen wollen – oder müssen?« Sie sah die Überraschung in seiner Miene, ging jedoch darüber hinweg. »Vielleicht sollten alle Männer verheiratet sein und alle Frauen sich den Wünschen ihrer Ehemänner beugen? Noch besser wäre, wenn kein Mann Bedürfnisse hätte, die er nicht ehrenvoll erfüllen kann … das würde schon die Hälfte retten! Dann müssen wir nur noch der Wirtschaft auf die Sprünge helfen … danach sollte die Veränderung der menschlichen Natur nur noch ein Klacks sein!«
    »Du hast deine Forderungen ganz schön in die Höhe geschraubt«, sagte er ruhig. »Ich dachte, du wolltest eigentlich nur, dass ich den Mord an Nolan Baltimore aufkläre.«
    Ihr Zorn verpuffte. Sie wollte nicht mit ihm streiten. Sie wünschte sich sehnlichst, ihn in den Armen zu halten und das mit ihm zu teilen, was ihn so sehr verletzte, ihm wenn schon nicht das Ganze, dann doch zumindest die Hälfte davon abzunehmen, mit ihm zu kämpfen, an seiner Seite.
    Es war besser, es zu versuchen und eine Abfuhr zu bekommen, als es überhaupt nicht versucht zu haben. Selbst Zurückweisung würde nicht mehr wehtun als diese Distanz, die ein wenig wie ein kleiner Tod war. Sie ging auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen, zwang ihn, ihr entweder in die Augen zu schauen oder den Blick abzuwenden.
    »Alles, was ich will, ist, dass du mir einen Rat gibst«, sagte sie. »Was soll ich tun? Was für Fragen soll ich stellen? Einige der Frauen vertrauen mir, wo sie der Polizei nicht trauen.«
    »Hester, lass es.« Er hob eine Hand, als wollte er ihre Wange berühren, dann ließ er sie wieder sinken. »Es ist zu gefährlich. Du glaubst, sie vertrauen dir, und das tun sie auch, damit du dich um ihre Verletzungen kümmerst. Aber du bist keine von ihnen, und das wirst du auch nie sein.«
    »Aber, William, darum geht's doch gerade!« Sie bekam seine Hand zu fassen und hielt sie fest. »Das hätte mir doch genauso passieren können! Diese Schuldnerinnen waren vor kurzem noch ganz ehrbare Frauen. Gouvernanten, Stubenmädchen, Ehefrauen, die verlassen wurden oder deren Männer sich in Schulden gestürzt haben. Vielleicht sogar Krankenschwestern! Ich habe mir meinen Lebensunterhalt im Haus fremder Leute verdient, bevor ich dich geheiratet habe. Ein Fehler, ein Missgeschick, und ich hätte mir Geld leihen und anschaffen gehen müssen, um es zurückzuzahlen.« Sie verzog spöttisch das Gesicht. »Zumindest wenn ich ein wenig jünger wäre.«
    »Nein«, sagte er sehr sanft, aber mit unerschütterlicher Sicherheit. »Du hättest niemals so etwas getan, in keinem Alter. Du hättest rebelliert oder ein Schiff nach Amerika genommen oder dem Kerl vielleicht sogar ein Messer zwischen die Rippen gejagt, aber du hättest dich nicht widerstandslos zur Schlachtbank führen

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