Tod eines Holländers
bescheidenen Gino dachte, der anderen Menschen gern einen Gefallen tat u n d bereitwill i g zugab, daß er keinen Grips besaß. Er tat nur Gutes auf der Welt, während ein so eingebildeter Fatzke wie… Der Leutnant hätte ihn für seine Frechheit anraunzen können, tat es aber nicht. Er war freundlich geblieben, beherrscht. Ein Offizier und gebildet obendrein.
» S ie hat recht gehabt, m eine Mutte r « , sagte er während des Zähneputzens und warf sich dabei ei n en finsteren Blick zu. » S ie hat völlig recht gehabt…«
Bevor er das Licht löschte, lag er noch eine Weile da u nd betrachtete d as Foto der beiden pum m eligen Jungen, das auf der Ko mm ode stand.
» Die Sache ist die « , sagte er in Gedanken zu seiner Frau, während er sich heru m rollte und in den Kissen versank, » i ch glaube, er wäre m ir s y m pathisch gewesen. E r war wohlhabend und hat t rotzdem mit seinen Händen gearbeitet… ein Handwerker… so etwas wäre ich auch gern geworden, wenn i ch begabt gewesen wäre… und er hat d i e alte Frau nicht vergessen, die nach dem Tod sei n er Mutter für ihn gesorgt hat. Gibt heutzutage nicht viele solcher Menschen. Aber e i gentlich weiß ich nichts über ihn, gar n i chts…«
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» Aha, Sie haben sich also vorgeno m men, m ich zu fragen – so wie Ihr Kollege gestern. Sie haben gedacht, ich bin die einzige Person, die ihn wirk l ich kennt, u nd das stim m t ja auch. Er ist in d ie sem Haus zur Welt gekom m e n, und nach dem Tod seiner Mutter war ich eine Z e itlang seine mammina, die einzige Mutter, die er hatte . «
»Ist… ist gestern jemand hiergewesen ? «
» Das wissen Sie so gut wie ich. Der Offizier, den Sie seinerzeit gerufen haben. Er kam g e stern vorbei, stellte m ir Fragen. Das war kurz vor dem Mittagessen…«
Der Wacht m eister hatte den jungen Leutnant also doch beeindruckt. Aber vielleicht war er schon im m er der gleichen Meinung gewesen und wollte sich nur bestärkt sehen. Signora Giusti in ihren Kissen kicherte m alizi ö s.
»Es gibt immerhin Dinge, die ich Ihnen erzählen würde, aber doch nicht so einem jungen Burschen wie ihm – ich habe nichts gegen ihn, aber denken Sie nur, besucht eine alte Frau wie m ich m i t leeren Händen!«
Das Präsent des Wachtmeisters, eine kleine Schachtel m it verschiedenfarbig überzogenen Petits-fours, lag geöffnet auf dem Couchtischchen, das weißgoldene Papier und das gelbe Einwickelband lagen über dem Telef o n.
»Ich hab schon immer eine Schwäche für Süßigkeiten gehabt, ich geb ' s z u …«
Die kleine, feingliedrige Hand langte nach der Schachtel. » Aber heutzutage esse ich ja nur noch wenig… Schauen Sie! Schauen Sie sich das an! Jeden Vor m ittag dasselbe ! «
Eine Etage tiefer wurde ein Läufer a u s dem Fenst e r geschüttelt. Signora Giusti beugte sich vor, bis sie m it der Stirn die Fensterscheibe berührte, und zählte die Staubwolken, die über den dunklen Innenhof schwebten.
» Drei, vier, fünf, sechs. Und das nennt sie sauber! Gleich am ersten Tag hätte ich sie r ausgesch m issen, aber diese alte Kuh da unten schwim m t ja in Geld. Sie ist erst siebzig, wissen Sie, aber sie behauptet, sie hat ein schlimmes Bein und kann m ich deswegen n i cht besuchen. Glaubt s i e denn, ich sehe nicht von m ein e m S c hlafzimmerfenster aus, wie sie die Via Ro m ana entlanghum p elt? Und soll ich Ihnen sagen, wohin? Ins Kino, jawohl! Aber ihr Bein ist so schlimm, daß sie nicht i m stande ist, die Treppe heraufzusteigen und ein Stündchen bei m ir zu sitzen – wie schafft sie bloß die drei S t ockwerke zu ihrer eigenen Wohnung h i nauf und hinunter? Für wen hält sie sich eigentlich, m öcht ich mal wissen. G l aubt sie denn, es wäre mir zu Lebzeiten m eines Mannes auch nur im Traum eingefallen, so eine Frau wie sie einzuladen? Das habe ich ihr auch gesagt! Ach, wenn Sie nur m einen Salon hätten se h en können… jetzt steht er leer… sogar die Teppiche sind nicht m ehr da, Perser waren es, und zwar kostbare. Für wen hält sie sich, b l oß weil sie sich für zwei Stunden täglich eine Putzfrau leisten kann – und zwar eine, die nicht besonders tüchtig ist –, nicht, daß diese L äufer wertvoll sind, das sieht m an ja von hier aus. Naja, sie braucht sich nicht einzubilden, daß ich auf sie angewiesen bin. Ich wollte ihr mit m einer Ei n ladung nur etwas Gutes tun, aber die Menschen w i ssen nicht, sie wissen überhaupt nicht … «
Sie stützte ihr eingefallenes Gesicht auf die Hände und sah sich
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