Tod eines Holländers
Augen die ganze Zeit ihre Bewegungen verfolgte, während sie zwischen Herd, Spüle und Speisekammer hin und her lief, und er sich anstrengte, jedes Wort der Männer m itzubek o m m en, die draußen an der Mauer saßen und unter dem Ste r nenhimmel rauchten und plauderten. Das Dorf war viel zu weit entfernt, als daß sie in die Bar hätten gehen können.
Und jedesmal, wenn seine Mutter die Speichertür öffnete, wartete er auf den schwachen Heuduft, der sich m it dem m uffigen Geruch der Kaninchen verband, die zusammengepfercht in ihren Ställen hockten.
In der Rückschau schien es ih m , als sei der Vater völlig zufrieden gewesen – bis zu dem Tag, als er in Rente ging und sie ins Dorf zogen. Er war fortan desorientiert, wurde bald krank und starb. Inzwischen war es seine Mutter, die, nachdem sie so lange für den U m zug geworben hatte, nicht m ehr wußte, wo sie war und wie ein kleines Kind jammerte und b ettelte, nach Hause gebracht zu werden.
Es blieb die Tatsache, daß er in jenen vergangenen Tagen nur selten seine Hausaufgaben geschafft hatte, und auch jetzt brachte er nicht viel zustande. Das linierte Papier war noch immer leer.
Das rh y th m ische Zirpen der Zikaden im Boboli-Garten hinter dem Palaz z o verstärkte wahrscheinlich seine nostalgischen Kindheitserinnerungen. Aber heute stand niemand dort draußen unter dem Sternenhimmel und plauderte. Die Gar t entore wurden bei Sonnenuntergang geschlossen: das war Florenz. Der Wachtm e ister stand auf, um die inneren Fensterläden zu schließen, und setzte sich dann energisch wieder an den Tisch.
»Was weiß ich ? « fragte er sich w i eder. » Ich weiß, daß der Holländer m i t dem Zug aus A m sterdam kam – das ist dem Professor so rausgeru t scht, ich neh m e also an, sie haben die Fahrkarte bei ihm gefunden. Er hat etwas zu essen gekauft… ist er sonst noch irgendwo hingegangen, bevor er in die Wohnung ka m ? Ich brauche einen Zugfahrplan… und ich m uß diese Fahrkarte sehen. Wenn ich irgendwelche konkreten Anhaltspunkte hätte, würde ich den Leutnant anrufen, und der würde m ir etwas sagen können… aber ich habe nichts.
Wie auch immer, wenn er, unterwegs vom Bahnhof, zufällig eine Frau aufgegabelt hat, dann werde ich das m orgen von Franca erfahren. Ich persönlich glaube nicht daran. Er geht also zur Wohnung und ißt allein. Es stand nur ein Teller auf dem Tisch, daran erinnere ich m ich. Dann trinkt er Kaffee. Die Frau m uß m i ttlerweile bei ihm sein… den Angaben von Signora Giusti zufolge so gegen acht. Ob sie wohl den Kaffee gemac h t hat, während er noch aß? Sie war ' s nicht… Also, was, wenn er sich geirrt hat oder es nicht glauben wollte? Das ist ja nicht dasselbe wie lügen. Die Frau geht nach einem Streit aus dem Haus – worüber haben sie gestritten? Weiß nicht. Viellei c ht schläft er ein. Bald darauf fängt er jedenfalls an, sich zu übergeben, er verl i ert das Bewußtsein und wacht dann auf, weil er fast erstickt, er kra m t im Medizinschränkchen herum – nein, ich hab ganz vergessen, er nahm Aspirintabletten… zusammen m i t dem Kaffee ver m utlich, und die ganze Zeit hat er geraucht… trotzdem hat er gegessen, also selbst wenn er nervös war, kann er eigentlich nicht in Panikstimm u ng gewesen sein oder einen gefährlichen Gegner erwartet haben. Aber erwartet hat er jemanden… Nachdem er sich geschnitten und die Wunde m ühsam verbunden hat, geht er in die Küche und greift zum Kaffee, verstreut alles auf dem Fußboden, wird m it der Situation nicht fertig, schläft wieder ein… Am andern Tag wacht er auf, geht zum Spülbecken, vielleicht um sich zu übergeben, findet den Rest Kaffee und trinkt ihn… m i t Feigenaroma versetzt – was für eine Vorstellung! Wohin geht er dann? Ins Schlafzimmer… die anderen Zimmer machten einen unberührten Eindruck, und er hat ja geblutet, hätte alle diese weißen Tücher, die über den Möbeln lagen, vollgeblutet… ins Schlafzimm e r, also. Weshalb? Um ins Bett zu gehen? Nein, er hat ja versucht, wach zu bleiben. Weshalb also? Er hatte Schlüssel in der Hand, aber ich habe einen der Jungs des L eutnants sagen hören, daß die Schlüssel nicht zu der Wohnung paßten. Es konnten die Schlüssel seiner A m sterdamer Wohnung gewesen sein, aber was hätte er hier da m i t anfangen wollen?
Es m uß also einen dritten Schlüsselbund gegeben haben… Er hat m ir immer seine Sch l üssel dagelassen, da m it… Die Schlüssel zu Signora Giustis Wohnung! Sie verwahrt seine
Weitere Kostenlose Bücher