Tod eines Holländers
erst, ihre Schadenfreude zu verbergen. Der Sohn kam dann während des letzten Krieges in Rom bei einem Luftangriff u m s Leben… Wir verließen diese unsägliche Tauffeier, sobald es irgend ging, und wenn m an auch sagen konnte, daß der große Streit an jenem Tag endete, so sind wir e i nander doch nie nähergekom m en . «
»Was hat d e nn zu dem Streit geführ t ? « fragte der Wachtm e ister, der zwar nicht wußte, von wem sie s p rach, aber irgendwie hoffte, einen Anhaltspunkt zu finden.
» Neid. Man sagt, bei den m e isten Proble m en auf dieser Welt geh t ' s u m s G eld, aber wenn das stimmt, dann spielt Neid eine fast ebenso große Rolle, und Neid unter Schwestern ist die schlimmste und unsinnigste For m . Ich kann schließlich nichts für das Aussehen, m it dem ich geboren wurde. Ach, was war ich schön!«
Sie sah m it leuchtenden Augen auf das Foto von ihr, als wäre jemand anders dort abgebildet.
» Und die Angebote, die ich bekam! M it siebzehn sind m ir schon fünf Heiratsanträge gemacht worden, was sagen Sie dazu? Was hätte ich denn tun sollen? Den Mann, den ich heiraten wo l lte, abweisen, bloß weil meine drei Jahre ältere Schwester u m s Verrecken keinen Mann beka m ? Sollte ich m ein L eben ruinieren, ich bitte Sie ? ! Nicht, daß sie häßlich war, verstehen Sie, nein ne i n, aber sie war ein m ürrischer Mensch, hatte nic h ts Fröhliches an sich. Am Ende m achte sie auf from m , ging an d auernd in die Kirche und tat Gutes. Und dann nimmt sie den erstbesten Mann, der sich ihr bietet. Sah aus wie ein Tuchhändler! Ich bitte Sie! Ich konnte es m i r nicht verkneifen, ihn ihren Tuchhändler zu nennen, als ich sie besuchte – nicht ernst, verstehen Sie, nur so zum Spaß. Ich habe sie gefragt, wie es ihm so ging, und dann das Gespräch auf die neuen Seidenstoffe der Sa i son gelenkt, habe sie um ihren Rat gebeten und m ich dann nach seiner Ansicht erkundigt und sie gefragt, ob s i e m ir nicht S toffe m it Ra b att besorgen könne.«
Signora Giusti schüttelte sich vor Lachen, und der Wachtmeister fragte sich, wie die arme Schwester es wohl geschafft hatte, ihr nicht den Hals u m zudrehen. Sie redete immer weiter, und jedes m al, wenn er die Rede auf den Holländer bringen wollte, m achte sie eine quälende Be m erkung und stürzte sich aufs neue in unangenehme Erinnerungen. Er fragte sich, wie es dem Leutnant am Tag zuvor wohl ergangen war. Ver m utlich hatte er nichts aus ihr herausgebracht, aber der Wacht m eister war einigerma ß en überzeugt, daß sie es nicht gewagt hätte, m it einem Offizier so heru m zuspielen wie jetzt m i t i h m .
Für ihn stand fest, daß sie es abs i chtlich tat, denn sie war zweifellos bei klarem V erstand und plapperte nicht wirres Zeug. Es konnte a l lerdings sein, dachte er etwas versöhnlicher, daß sie seinen Besuch einfach so lange wie möglich hinausziehen wollte. Als er ka m , war die Altenpflegerin gerade gegangen, nachdem sie das vorbereitete Essen hingestellt hatte. Jetzt war es erst zehn Uhr, und vor der alten Frau lag ein langer Tag der Einsamkeit, an dem sie nur auf den trostlosen Hinterhof hinausblicken würde. Wenn sie irgend e t was zu berichten hatte, dann würde s i e ihren Bericht so weit strecken, daß m öglichst viele Besuche dabei herauska m en.
Zuerst hatte er gehofft, daß sie, aus Trauer über den Tod ihres geliebten T o ni, ihm hel f en würde herauszufinden, was passiert war, doch allmählich begann er zu verstehen, was es hieß, einundneunzig Jahre alt zu sein. Sie hatte alle ihre Fa m ilienangehörigen begraben und von all ihren Freunden und Bekannten, einem nach dem anderen, Abschied genommen. Sie selbst war jetzt bereit z u sterben. Die Trennlinie zwischen Tod und Leben verlief für sie anders als für einen jungen Menschen. Die Toten, die zu ihrer Welt gehörten und die sie auf dem Höhepunkt ihres Lebens gekannt hatten, waren für sie lebendiger als die Lebenden, für die sie nicht zählte. Daß der junge Holländer tot war, betrübte sie viel weniger als der U m sta n d, daß wieder ein m al je m a nd vor ihr gestorben war.
»Bei ihnen war es dasselbe, wissen Sie. Neid!«
» Pardon ? «
»Ich dachte, Sie wollten etwas über Tonis Fa m i lie hören. Deshalb sind Sie doch gekom m en, oder etwa nicht ? «
Sie spielte wirklich m i t i h m , er war jetzt ganz sicher. Sie hatte seinen unruhigen Blick be m erkt und sofort angefangen, von dem Holländer zu sprechen. Offensichtlich woll t e sie wieder abschweifen, aber der
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