Tod eines Holländers
nicht . «
»Ich ver m ute, daß er es jedenfalls versucht hat. Als ich ihn fand, hatte er Ihre Schlüssel in der Hand, wenn m ich nicht alles täuscht. Entschuldigung, dürfte ich m ir wohl ein Glas holen ? «
Sie verharrte schweigend, bis er zurückkehrte, vergoß ein paar Tränen, dies m al aber nicht aus Se l bst m itleid. Sie war in ihre Erinnerungen versunken und be m erkte nicht, daß eine Etage tiefer das Fenster wieder geöffnet und ein Staublappen ausgeschüttelt wurde.
» Und dann hat er also Signora Wilkins kennengelernt . « Der Wachtmeister half ein wenig nach.
» Hier in dieser Wohnung. Sie hatte es sich bald zur Gewohnheit ge m acht, heraufzukommen und nachzuschauen, ob ich e t was brauchte. Ich glaube, es verging kein Tag, an dem sie nicht wenigstens kurz hereingeschaut hat. Sie m ußte ja nicht arbeiten, und sie hielt die Untätigkeit nicht aus. Eines Tages kam sie hoch und fragte, was ich von der Idee hielt, wenn sie Kindern aus dem Viertel Englischstunden gäbe. Sie wollte kein Geld dafür neh m en, aber das habe ich ihr ausgeredet. Das hätten die Leute komisch gefunden, und sowieso gibt es immer welche, die nicht zahlen, also sollte sie sich deswegen keine Gedanken m a c hen. Sie wo l lte einfach unter Menschen sein und das Gefühl haben, etwas Nützliches zu tun. Ihr erster Schüler war der junge Toni. Goossens war begeistert. Er hatte gar nicht den Wunsch, daß das Kind Holländisch lernt, aber anscheinend sprechen die m eisten Holländer Englisch, und Toni würde eines Tages den Betrieb überneh m en und die Kontakte nach A m sterdam p f legen m üssen. Natürlich gab es auch noch andere Schüler, aber Toni war jedenfalls der erste, und so haben sie und Goossens sich kennengelernt . «
» Und dann zog sie nebenan ein ? «
» Nicht sofort. Ich erzähl Ihnen jetzt etwas, was ich nie m andem sonst erzählen würde: die Hochzeit fand m ehr oder wen i ger hei m lich statt, und die S i gnora hat ihre Wohnung unten noch ein Jahr lang behalten … «
Der Wacht m eister ru c kelte auf seinem hart e n Stuhl, der unbequem und für ihn viel zu klein war; sein Rücken begann zu sch m erzen. Signora Giusti dagegen l ieß keinerlei Anzeichen von Er m üdung erkennen; ge l egentlich beugte sie sich vor, um m i t ihren sch m alen Händen lebhaft zu gestikulieren, dann warf sie sich wieder in die Kissen zurück und starrte versonnen an die Zimmerdecke.
»Es war das Kind, vers t ehen Sie. Der Junge war ruhig und stämmig, a b er sehr sensibel. Vom Vater hatte er die kräftige Statur, aber von der Mu t ter die großen dunklen Augen und die künstlerische Ader. Als Schüler und L ehrerin ka m en sie prächtig m i teinander aus, doch a l s er m erkte, was sich zwischen ihr und seinem Vat e r entwickelt e , verschloß er sich. Es war für alle d r ei eine sehr schwierige Zeit, und m anc h m al kam sie tränenüberströmt zu mir. Sie hatte selber kein Kind, aber immer eins haben wollen, und sie hatte Toni in ihr Herz geschlossen. Sie brachte ihm eine unendliche Geduld entgegen, aber von ihm kam einfach nichts – nicht, daß er je ein böses Wort gesagt hätte, wissen Sie, er war i m mer höflich, im m er anstä n dig. Schließlich begann er, sich auch gegenüber seinem Vater so zu verhalten. Sie waren ganz verzweifelt, die beiden. I ch habe oft überlegt, ob er einfach glaubte, daß sie ihn als störend empfande n , und deswegen seine Unabhängigkeit de m onstrieren wollte. Er muß in dieser Zeit oft an seine Mutter gedacht haben. Wer weiß? Vielleicht hat er gegen Signora Wilkins gekämpft, weil es ihm wie ein Verrat erschien. Man weiß ja nie, was in einem Kind vorgeht . «
»Wie alt war er da ? «
»Er ging in jenem Sommer von der Mittelschule ab und trat in die väterlic h e Werkstatt ein, er m uß also etwa vierzehn gewesen sein. Es war sofort eine Veränderung an ihm zu be m erken. Er m uß wohl gespürt haben, daß er sehr wohl einen Platz in der Welt seines Vaters hatte. Er s chuftete wie ein Sklave. Ich sehe noch, wie er Stunde um Stunde an seiner Werkbank steht und feilt u nd unwahrscheinlich bemü h t ist, alles r i chtig zu m a chen. Bei dem kleinsten Fehler errötete er, und Tränen traten in seine Augen.
Eines Tages zerbrach er dann eine kleine Feile. Ich weiß nicht, wie. Anstatt nun Besche i d zu sagen, versteckte er sie. Es dauerte eine Woche, bis es je m and m erkte – in der Werkstatt gab es noch drei andere Handwerker, und jeder hatte praktisch sein eigenes Handwerkszeug. Toni wurde
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