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Tod eines Holländers

Tod eines Holländers

Titel: Tod eines Holländers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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m it jedem Tag blasser und unruhiger. Am Ende benötigte er die Feile für einen kleinen Auftrag, den m an i h m g egeben hatte. Er hatte furchtbare Angst. Sein Vater war ein gleichmütiger, u m gänglicher Mann, er hatte den Jungen noch nie geschlagen. Als Handwerker achtete er freilich streng auf die Art und Weise, wie bei i hm gearbeitet wurde. Sorgsa m e Behandlung der Werkzeuge war das erste, was Toni hatte lernen m üssen. Na ja, er kam also zu mir gelaufen und schüttete m ir sein Herz aus. Im nachh i nein erscheint es lächerli c h, zu m al sich herausstellte, daß es eine alte, schon etwas kaputte Feile war, die m an i h m z u m Üben gegeben hatte – was er natürlich nicht wissen konnte. Ich glaube, er wäre wegen so einer Lappalie von zu Hause weggelaufen, wenn ich nicht gewesen wäre, w i ssen Sie.«
    » Das k o mmt vor. Ich habe erlebt, daß Kinder aus weniger problematischen Fa m ilien und wegen weniger weggelaufen sind . «
    » Also, z u m Glück hatte er ja seine mammina, zu der er laufen konnte. Ich stand ihm nahe, war aber nicht direkt b etroffen, wenn Sie verstehen, was ich m eine, und ich hatte ja seine Mut t er gekannt, und das zählte wohl eine Menge. Ich sehe noch, wie er dort am Tisch saß und m ir sein Herz ausschüttete, tiefe Seufzer, aber keine T ränen. Nie habe ich bei einem Kind eine solche Art von Traurigkeit erlebt… Er war m it den Nerven völlig ferti g … tiefe schwarze Ringe unter den Augen… er saß in s i ch zusam m engesunken, den Kopf auf der Tischplatte.«
    Für sie war dieser Tag einer fernen Vergangenheit lebendiger als die Szene, die sich zwei Tage zuvor im Badezimmer abgespielt hatte. Der Wachtm e ister, der auf den Tisch m it d em Wachstuch blickte, an dem der Junge im schwarzen Arbeitski t tel geweint hatte, sah dagegen die Gestalt h inter der Tür, zusammengekauert, ein Handtuch s i nnlos um die eine Hand gebunden.
    » S ie sind die einzigen Menschen, die mir etwas bedeuten. Die Leute hier im Haus, etwa diese Ziege da unten…«
    » Und was ist aus der Sache m i t der Feile geworden ? «
    » Also, m an ver m ißte Toni natürlich, und sein Va t er suchte ihn bei m ir. Seltsam, er war ein großer, unbeholfener Mann, obwohl er so feine Sachen herstellte. In dieser Krise stand er bloß da, die großen, geschickten Hände völlig starr und steif. Man spürte, daß jeder Schluchzer des Jungen ihn in der Seele traf, aber er w a r unfähig, seine Gefühle zu zeigen. Er wußte nicht, was er m achen sollte. Schließlich schenkte ich ein G l äschen Vinsanto ein, d a m i t er es dem Jungen geben konnte – doch er war so durcheinander, daß er es se l bst austrank! Ich m ußte ihn zum Tisch drängen. Toni nahm ein, zwei Schluck und begann dann, von der du mm en F eile zu sprechen, wollte sich entschuldigen. Auf einmal warf er s i ch seinem Vater in die Ar m e und fing an, richtig zu weinen.
    Da m it war die Krise vorbei. Danach m achte er beruflich große Fortschritte. Er hatte den väterlichen Sinn für gründliches Arbeiten, aber in seinen Adern war eben auch italienisches B l ut.
    ›Er ist ein Künstler‹, pflegte sein Vater zu sagen. ›Er ist ein Künstler. Ich kann ihm das Handwerkliche beibringen, aber er weiß Dinge, von denen ich keine Ahnung habe…‹ In jeder freien Minute zeichnete Toni, fertigte die verschiedensten Entwürfe für Goldsch m iedearbeiten und Fassungen für die Juwelen an, die sein Vater schliff. Einmal hat er einen Ring entworfen, der seinen Vater der m aßen beeindruckte, daß er besch l oß, ihn ge m e insam m it seinem Sohn anzufertigen. Er war aus Gold, und der junge Toni hatte noch nie m it G old gearbeitet – es war noch immer sein erstes Jahr, und er hatte erst kurz zuvor ein kleines Stückchen Silber zur Bearbeitung bekom m en, nachdem er davor nur m it Kupfer gearbeitet hatte. Nichtsdestotrotz ließ ihn sein Vater einen Teil der Fassung herstellen – er war eben ein sehr t alentierter Junge, gar keine Frage, und Gold ist leichter zu bearbeiten als härte r e Metalle, ›läßt sich wie Bu t ter schneiden, mammina !‹ hat er oft zu m ir gesagt, ›wie Butter‹. Es war ein ganz besonderer Ring, schwer zu beschreiben…«
    Sie legte die Hände übereinander, als wollte sie in Gedanken der Form nachspüren.
    »Er bestand aus zwei aufeinanderliegenden Goldringen, der eine flach und schlicht, der andere darüber etwas breiter, mit ei ne m feinen, filigranartigen Muster. Das Ganze wirk t e wie zarteste Spitze über glatter Seide, wenn

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