Tod eines Lehrers
Tod immer stiller und in sich gekehrter wurde. Sie müssten das doch eigentlich am ehesten mitgekriegt haben. War es so?«
»Schon, aber jeder von uns hat doch mal so eine Phase. Ich hab dem weiter keine Bedeutung beigemessen. Sie hat öfter scheinbar grundlos geweint, und wenn ich sie gefragt habe, was los ist, hat sie nur geantwortet, nichts weiter, sie würde nur mit dem Stress nicht fertig werden.«
»Um was für einen Stress handelte es sich denn?«
»Schule, Eltern. Das Übliche halt.«
»Hm. Dann frag ich mich nur, warum sie gleich drei Leistungskurse belegt hat, wo doch eigentlich nur zwei Pflicht sind. Die gleichen Leistungskurse, die auch Sie belegt haben. Warum hat sie das gemacht, wenn sie angeblich überfordert war?«
Kerstin sah auf, senkte den Blick aber gleich wieder. »Ihre Eltern wollten das so, das heißt, eigentlich ihr Vater. Wenn Sie den kennen würden, dann würden Sie alles verstehen. Der ist ein echter Kotzbrocken, für den zählt nur Leistung, Leistung, Leistung!«, stieß sie zornig hervor. »Als Maureen in der Zehn hängen geblieben ist, was glauben Sie, was der für’n Terz gemacht hat. Der hat sie nicht nur einmal geschlagen, sondern ziemlich oft.Und ihre Mutter hat nur zugesehen. Tja, und dann hatten wir das Glück, in der Elf Schirner als Klassenlehrer zu bekommen. Ab da ging’s für uns alle bergauf.«
»Was heißt für alle? Frau Neihuus, Sie, Frau Esslinger?«
»Ja. Es waren aber auch noch ein paar andere dabei.«
»Hat sie Drogen genommen oder übermäßig viel Alkohol getrunken?«
»Quatsch, Maureen doch nicht! Die hatte einen Höllenrespekt vor dem Zeug.«
»Also keine Drogen und kein Alkohol. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie gesagt, dass Ihr Vater auch großen Wert auf Leistung legt. Wie gehen Sie damit um?«
»Ich gebe mein Bestes und hoffe, es ist gut genug«, antwortete sie diplomatisch. »Die meisten Eltern wollen eben immer mehr als die Kinder selbst. Manche kommen damit zurecht, andere nicht.«
»Und Sie?«
»Ich komm zurecht. Ich hoffe, es bleibt auch so, jetzt, wo Herr Schirner und Herr Teichmann tot sind. Ich weiß ja nicht, wen wir jetzt kriegen.«
»Ist Frau Esslinger auch Ihre Freundin?«
»Ja, warum?«
»Mir ist nur aufgefallen, dass Sie alle drei die Zehn nicht geschafft haben. Hatte das besondere Gründe?«
Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln über Kerstins Gesicht. »Wir haben alles schleifen lassen, wir haben gekifft und viel Party gemacht. Na ja, die Schule war halt nicht so wichtig.«
»Sie haben doch eben betont, dass Frau Neihuus keine Drogen genommen hat, und jetzt behaupten Sie auf einmal …«
»Wir waren sechzehn und haben nur gekifft und ein bisschen getrunken. Das war aber wirklich nur eine kurze Zeit. Als wir die Zehn wiederholen mussten, haben wir mit dem Scheiß aufgehört.«
»War Frau Esslinger an dem Nachmittag, als das mit Maureen passierte, auch hier?«
»Nein. Wir haben von Maureens Tod erst am späteren Abend erfahren. Ihre Mutter hat uns angerufen und die ganze Zeit nur ins Telefon geschrien.«
Brandt schaute auf die Uhr, halb drei, und sagte: »Tja, ich geh dann mal wieder, ich hab noch ’ne Menge zu tun. Wir sehen uns bestimmt noch …Nur noch eine Frage. Wo waren Sie gestern Abend zwischen neun und zehn?«
»Hier.«
»Kann das jemand bestätigen?«
»Keine Ahnung, ich war die ganze Zeit hier in meinem Zimmer und habe ferngesehen und ein bisschen gelesen. Glauben Sie etwa, ich hätte etwas mit dem Mord an Teichmann zu tun? Das ist doch Blödsinn, welchen Grund sollte ich haben?«
»War nur eine Frage, die ich jedem stelle.«
Er stand auf, nickte Kerstin aufmunternd zu und ging nach unten, wo ihre Mutter im Wohnzimmer saß und etwas auf ein großes Blatt Papier schrieb. Er dachte daran, sie zu fragen, ob sie Kerstins Alibi bestätigen könne, verwarf dies aber wieder, denn allein diese Frage hätte Kerstin womöglich zusätzlichen Ärger eingebracht.
Er verabschiedete sich, rief auf dem Weg zum Auto bei Elvira Klein an und sagte ihr, er sei zwischen vier und fünf in ihrem Büro. Doch vorher wollte er noch einen kurzen Abstecher zu Natalia Teichmann machen, auch wenn er wenig Hoffnung hatte, heute mehr über ihren Mann zu erfahren als letzte Nacht. Aber vielleicht hatte sie ja doch eine kleine Information für ihn.
Freitag, 14.50 Uhr
B randt brauchte diesmal nicht zu klingeln, die Tür ließ sich einfach aufdrücken. Das Wartezimmer war leer, dieSprechstundenhilfe sagte ihm
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