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Tod eines Maechtigen

Tod eines Maechtigen

Titel: Tod eines Maechtigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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richtig leben werden wir wieder!
    Dann wandte er sich um, ging aus der Küche und stieg die Treppe unters Dach hoch. Den Pflock in beiden Händen haltend und wie eine Reliquie vor sich hertragend.
    »Ich komme«, flüsterte er, »um euch zu geben, was ihr verdient.«
    Fast erstaunte es ihn, daß seine Stimme nicht zitterte. Er murmelte ein stilles Dankgebet. Denn er konnte jedes bißchen Beistand brauchen.
    * 
    Draußen war längst schon die Sonne über den Horizont gekrochen. Die Dächer Jerusalems lagen da wie mit geschmolzener Butter bestrichen, und durch das schlecht schließende Fenster der Kammer drangen die Geräusche aus den Gassen der Altstadt herauf.
    Doch Lilith Eden hatte kein Ohr dafür. Sie lauschte nur dem kaum verständlichen Flüstern und Wispern des Mädchens, das nun schon seit Stunden reglos da saß, an der Seite des Fremden, und unmögliche Zwiesprache zu halten schien.
    Denn eine andere Stimme als Rahels hörte Lilith nicht!
    »Weil ich manchmal mit den Toten reden kann«, hatte sie gesagt.
    »Dann versuch es«, hatte Lilith geantwortet, und Rahel hatte nur genickt, ganz und gar ernsten Gesichtes.
    Sie hatte sich auf dem Bett niedergelassen, die schmalen Beine überkreuz, und dann war lange Zeit nichts geschehen. Lilith war schon im Begriff gewesen, das Mädchen aus seinem tranceartigen Zustand, in den es sich selbst versetzt hatte, zu holen, als Rahel schließlich doch eine Regung gezeigt hatte.
    Erst stumm, dann wispernd hatten sich ihre schmalen Lippen bewegt. Immer wieder war sie verstummt, als lausche sie einer Antwort, die nur ihr Ohr erreichte. Ein regelrechter Dialog hatte sich in der Folge entsponnen, bizarr und unheimlich für Lilith, weil sie zum einen nichts von dem verstand, was Rahel sagte, und die Erwiderungen aus dem Nichts überhaupt nicht zu hören imstande war.
    Trotzdem konnte sie sich der Faszination des Geschehens nicht entziehen. Wie gebannt beobachtete sie Rahel und den Fremden, der ihr doch soviel bedeutete, daß der bloße Anblick seiner leblosen Gestalt ihr im Herzen wehtat, und wurde nicht müde, verstehen zu wollen, was zwischen beiden gesprochen wurde.
    Daß Rahel ihr nicht nur etwas vorspielte, davon war Lilith überzeugt. Sie konnte spüren, daß etwas Besonderes, etwas Unerklärliches vorging; es war, als berühre etwas wie ein steter kalter Hauch ihre nackte Haut, der nichts mit der Zugluft zu tun hatte, die durch die Fensterritzen hereindrang.
    Und dann war es vorbei. So plötzlich, wie es begonnen hatte.
    Rahel Chaim setzte sich auf, räusperte sich und wandte sich zu Li-lith um. Ein süßes Lächeln lag auf ihrem kleinen Gesicht, und der Ausdruck ihrer Miene stand für Zuversicht.
    »Er ist nicht tot«, sagte das Mädchen.
    »Woher weißt du das?« erwiderte Lilith wie von selbst. »Ich meine -« Ihr fehlten die rechten Worte. Sie schaffte es nicht, sich so rasch aus dem Bann des Ereignisses zu lösen, dessen Zeuge sie über Stunden gewesen war. Ihr war, als verklebe Spinngewebe ihre Gedanken, und es dauerte Sekunden, sich davon zu befreien.
    »Ich konnte mit ihm sprechen«, bestätigte Rahel, was Lilith ohnedies schon ahnte.
    »Was hat er gesagt?« wollte Lilith wissen. »Worüber habt ihr gesprochen?«
    »Über vieles«, antwortete das Kind. »Er hat so viel zu erzählen, daß ein ganzer Tag nicht genügen würde, um es zu hören.«
    »Aber -«
    Lilith unterbrach sich selbst. Ein Geräusch hatte sie irritiert. Sie wandte den Kopf zur Tür, lauschte - hörte Schritte, die näher kamen.
    »Das Seltsamste war«, fuhr Rahel derweil fort, »daß er nicht von hier aus mit mir sprach -«, sie berührte den reglosen Körper des Mannes mit dem Finger, »- sondern von ...«
    Lilith erfuhr nicht, von wo aus der Fremde mit dem Kind gesprochen hatte -- denn die Tür zum Flur flog auf!
    Und Gershom Chaim stürmte die Kammer wie ein Rachegott!
    *
    Versonnen strich David Chaim über die samtene Haut des Pfirsichs.
    Fast wie die ihre, dachte er, den Blick zur Decke des elterlichen Ladens gehoben.
    Dann biß er in die Frucht. Süßer Saft lief ihm aus den Mundwinkeln. Das Aroma stieg ihm in die Nase, und auch dieser Duft erinnerte ihn an sie.
    Wie alles in den Tagen, seit es geschehen war. Seit sie ihn zum Mann hatte werden lassen.
    Hätte er sich doch nur ihres Namens entsinnen können .
    Aber er kam nicht darauf, wie er so manches in Gedanken nicht recht greifen konnte, als gehorche ihm seine Erinnerung nicht mehr wie früher.
    Sie selbst aber hatte er nicht vergessen.

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