Tod Eines Mäzens
Atmosphäre der Abgeschiedenheit nach wie vor erhalten geblieben. Vielleicht würde das immer so sein. Der Aventin hatte etwas Besonderes. Der Blick von hier musste umwerfend gewesen sein. Wir, die wir jetzt hier lebten, konnten immer noch den Fluss und die fernen Hügel sehen oder uns an offenen Plätzen dem Himmel und dem Mond nahe fühlen.
Cacus, ein Gott des Feuers, der ein wüster Spitzbube gewesen sein muss, hatte in einer Höhle am Fuße des Hügels gehaust. Nachdem Herkules ihn erschlagen hatte, geisterte Cacus fortan auf dem Forum Boarium umher. Darüber hatten wir Ceres, die große Königin des ländlichen Wachstums und des Korns; Liberta, die Patronin der freigelassenen Sklaven mit ihrer umgedrehten Fellkappe; Bona Dea, die gute Göttin, und Luna, die Mondgöttin, deren Tempel zu den wenigen Gebäuden auf dem Aventin gehörte, die in Neros großem Feuer zerstört worden waren. In zwei der örtlichen Tempel bereitete man sich gerade auf die Jahresfeste vor. Der eine war Dianas majestätisches Heiligtum im plebejischen Teil des Hügels, wo die Göttin traditionell von Arbeitern und Sklaven verehrt wurde. Der andere war der kleine Schrein des Vertumnus, Gott der Jahreszeiten, des Wechsels und der reifenden Pflanzen, eine mit Früchten bekränzte Gartengottheit, der ich schon immer heimlich zugeneigt war.
Von eher klassischer Kühle war Minerva. Es schien passend für den Sohn einer Familie griechischen Ursprungs, diesen Tempel zu besuchen. Dagegen konnte ich nichts einwenden. Diomedes war zwar völlig romanisiert, doch ich hatte gesehen, wie stark er von seiner Mutter beeinflusst wurde. Wenn Lysa Athene liebte, konnte es gut sein, dass er selbst seine Gebete an die in einer Rüstung steckende Eulengöttin richtete. Ein braver Junge – na ja, einer, der von seiner Mama ordentlich herumgeschubst wurde.
In dem hallenden Heiligtum zwang ich einen Priester, mit mir zu reden. Seine Aufmerksamkeit zu erlangen war so schwierig, dass ich sogar meine Stellung als Prokurator der heiligen Gänse der Juno ins Feld führte. Ha! Das brachte mich überhaupt nicht weiter. Also musste ich mich auf einfachere Methoden verlegen – dem Tempel einen Besuch der Vigiles androhen.
Einer der hochmütigen Herrschaften ließ sich daraufhin herab, meine Fragen zu beantworten. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Seine Antworten waren nutzlos. Er schien nicht in der Lage zu sein, die sorgfältige Beschreibung meines Verdächtigen zu erkennen, und konnte sich nicht erinnern, dass der Junge am Tag von Chrysippus’ Tod den Tempel besucht hatte. Der Priester hatte allerdings von Aurelius Chrysippus und Lysa gehört. Sie waren in der Vergangenheit Wohltäter des Tempels gewesen. Also wusste ich, dass eine Verbindung zu der Familie existierte. Das reichte aber kaum als Alibi für einen Mord aus.
Verärgert begab ich mich zu Lysas Haus, um den Sohn erneut zu befragen. Ich musste zugeben, dass Diomedes bisher nie richtig vernommen worden war. Es könnte von Vorteil sein, ihn glauben zu lassen, er sei einer genaueren Überprüfung entkommen. (Wobei ich mir allerdings nicht vorstellen konnte, worin dieser Vorteil bestand.)
Vor dem Haus bemerkte ich den Mann, den Fusculus zur Überwachung abgestellt hatte, falls sich die Bewohner verdünnisieren wollten. Er tat so, als würde er in einer Caupona was trinken, eine friedliche Art der Überwachung. Ich nickte ihm zu, sprach ihn aber nicht an.
Das Haus war genauso verrammelt und verschlossen wie das von Lucrio nach dem Bankkrach, aber ein Pförtner ließ mich ein. Drinnen gab es in der Tat Anzeichen für einen nahe bevorstehenden Aufbruch. Die Zeit zum Handeln war definitiv gekommen, sonst würden wir Lysa und den Freigelassenen nur noch von hinten sehen. Verschnürte Bündel und Truhen standen herum. Seit ich zuletzt hier gewesen war, hatte man einige Wandteppiche und Vorhänge abgenommen.
Diesmal war Diomedes daheim. Und diesmal machte er keine Anstalten, sich hinter seiner Mutter zu verstecken. Sie tauchte gar nicht erst auf. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, in derselben Form wie sein Vater. Ich erzählte ihm von meinem ergebnislosen Treffen mit dem Priester und befahl ihm, mit mir zurück zum Tempel zu kommen, um zu sehen, ob wir sonst noch jemanden fanden, der ihn identifizieren konnte. »Wenn nicht, werden Sie möglicherweise diese neue Gesichtsmaskierung abrasieren müssen.«
Als wir gehen wollten, betrat jemand das Haus – Lucrio, interessanterweise im Besitz seines
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