Tod eines Mathematikers
irgendeine Ahnung, was passiert sein könnte? Nimmt sie vielleicht Drogen?«
»Drogen? Ali? Nie und nimmer! Die hasst Drogen. Ganz ehrlich. Sie hat mir gegenüber mal Frank Zappa zitiert: ›Drogensüchtige sind nur deswegen drogensüchtig, um eine Ausrede dafür zu haben, dass sie Arschlöcher sind.‹ Oder so ähnlich. Nee, ihre einzige Droge ist ’n starker Kaffee und Rotwein, vielleicht. Kifft nicht mal.«
»Sonst eine Idee, was passiert sein könnte?«
»Na ja, vielleicht ein simpler Verkehrsunfall …«
»Glaub ich nicht. Das hätten wir doch schon erfahren, denk ich. Aber ich frag gerne noch mal bei der Polizei oder in den Krankenhäusern.«
»Vielleicht ist ihr irgendwas in der Wohnung passiert. Was weiß ich: auf der Seife ausgerutscht, Hirnschlag, Herzinfarkt, keine Ahnung.«
Kossek sah Matze ernst an. »Du machst dir wirklich Sorgen, oder?«
»Klar.«
»Jetzt mal von häuslichen Unfällen und plötzlichen gesundheitlichen Problemen abgesehen: Hast du sonst vielleicht noch ’ne Idee, was passiert sein könnte?«
»Eigentlich nicht …«
»Was heißt ›eigentlich‹? Hast du oder hast du nicht? Hat sie vielleicht irgendwelche Probleme?«
Matze zögerte. Dann rückte er damit raus. »Na ja, in der letzten Zeit, da war sie schon ’n büschn merkwürdig. Sie hatte irgendetwas erfahren, das ihr wohl zu schaffen machte.«
»Was denn?«
»Sie machte bloß Andeutungen. Irgendetwas über sich selber, sagte sie. Was, darüber könne sie mit niemandem sprechen. Sie tat furchtbar geheimnisvoll.«
Na also, dachte Kossek. Sie ist schwanger. Scheiße. »Klingt ja reichlich mysteriös.«
»Ja, fand ich auch. Sie hat mich und einen Freund übrigens heute Abend zum Essen eingeladen, wollte Labskaus kochen. Vielleicht wollte sie mir da ja was erzählen.«
Irgendetwas in Matzes Verhalten machte Kossek misstrauisch. Er nahm Witterung auf. »Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?«
Matze rang sichtbar mit sich.
»Matze!?«
Kossek wirkte plötzlich gar nicht mehr kumpelhaft, sondern richtig chefig.
Matze gab sich einen Ruck. »Okay, Knut. Wir sind da an ’ner Sache dran …« Und dann erzählte er. Von Alexandras Ärger mit Fabian Mohr, der sie auf Facebook gestalkt hatte. Dass Alexandra glaubte, Mohr könnte was mit dem Tod ihres Vaters zu tun haben. Von Harrys gruseligem Fund am Neujahrstag. Vom tragischen Schicksal Nicole Wollenbecks. Dass Mohr mit ihr zusammen studiert hatte. Und sie außerdem die Studentin von Alexandras Vater gewesen war. Und von der unheimlichen Mordserie in Bremen. Das Wort ›Mordserie‹ hatte Matzes Mund kaum verlassen, da hielt Kossek nichts mehr auf seinem Stuhl.
Entschlossen sprang er auf. »Okay, ich sag dir jetzt, was wir machen: Wir fahren zu Alexandras Wohnung und sehen nach ihr.«
»Und wenn sie nicht da ist?«
»Dann setzten wir Himmel und Hölle in Bewegung.«
*
Der fensterlose Raum war karg möbliert. Eine harte Pritsche, davor ein Hocker, ein Sessel, sonst nichts. Direkt neben der Pritsche stand eine Wasserflasche. Die Wände waren mit Lärmschutzmatten isoliert. Die Glühbirne an der Decke, die der Mann mit Absicht so ausgesucht hatte, dass sie zu schwach war, um den Raum zu erhellen, tauchte das Verlies in schummriges Licht. In der Ecke, neben dem Waschbecken, war eine Nasszelle in den Boden eingelassen. Waschutensilien wie Zahnbürste, Handtücher, Seife und alles, was sonst für die Körperpflege notwendig war, standen ebenso bereit wie Deo, Parfüm, duftendes Öl, Make-up, Creme, Lippenstift und Nagellack. Über dem Sessel lagen, sorgfältig zusammengelegt, ein Negligé, Spitzenunterwäsche, Strapse und Netzstrümpfe. Davor standen waffenscheinpflichtige Stilettos aus Lack.
Alexandra Katzenstein lag auf der Pritsche. Der Mann saß vor ihr auf einem Hocker und betrachtete sie. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es konnte nicht mehr lange dauern. Alexandras Atem ging unruhig, sie bewegte den Oberkörper hin und her. Gleich musste es so weit sein. Der Mann stand auf, ging zu dem Waschbereich, warf einen Blick auf die Utensilien, schien zufrieden, er hatte an alles gedacht. Von der Pritsche war ein Stöhnen zu hören. Der Mann nahm wieder auf dem Hocker Platz und zog sich die Skimütze über den Kopf, nahm das Messer in die Hand.
*
Harry Tenge sackte die Kinnlade runter. Vor seiner Wohnungstür stand Ritchie Blackmore. Zumindest der Ritchie Blackmore von der Unterweser. Im Schlepptau Matze.
»Äh, Knut Kossek?«, stammelte er.
Kossek nickte
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