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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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zum ersten Mal von unserer Serie verschwundener Frauen erfahren«, machte Cremer einen erneuten Versuch, ihren Chef zu überzeugen.
    Doch Kühlborn ließ sie wieder auflaufen: »Das ist wohl eher unwahrscheinlich. Die Schutzpolizei muss einfach mehr Streife fahren und wachsam sein. Ich halte nichts davon, Panik zu verbreiten, wenn wir gar nicht wissen, ob wir es mit einem Serienmörder zu tun haben oder nicht.« Die Schärfe in Kühlborns Stimme hätte jeden anderen schon längst zum Schweigen gebracht.
    Doch Daniela Cremer ließ nicht locker. »Bremen ist etwa dreihundertfünfundzwanzig Quadratkilometer groß, hat fast fünfhundertfünfzigtausend Einwohner. Es ist unmöglich, das Stadtgebiet durch Polizeistreifen zu sichern«, gab sie selbstbewusst zurück. Jeder außer Kühlborn wusste, dass sie recht hatte. Aber Kühlborn, diese Schlaftablette, war nun mal der Chef. »Ich werde die Frage, ob wir an die Öffentlichkeit gehen oder nicht, mit dem Staatsanwalt erörtern. Soll der entscheiden«, sagte Kühlborn. Das klang professionell, doch alle im Raum wussten, dass sich der Chef nur aus der Affäre ziehen wollte. Wenn er überhaupt mit dem Staatsanwalt sprechen würde, würde er ihn schon davon überzeugen, dass es zu früh war, an die Öffentlichkeit zu gehen.
    »Wir wissen, dass sich der Täter offenbar sehr gut in Bremen auskennt. Der durchschnittliche, deutsche Serienmörder ist zwanzig bis fünfundvierzig Jahre alt. Wenn man nun alle Männer, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren in Bremen gelebt haben und die in diesem Alter waren, einfach mal überprüft. Vielleicht stoßen wir auf Sexualtäter …« Weiter kam sie nicht.
    »Nun reicht es«, schnitt ihr Kühlborn das Wort ab. »Ihr Engagement in allen Ehren. Das sind bestimmt Zehntausende. Außerdem hat wohl noch niemand hier im Raum daran gedacht, dass sich ganz Deutschland über uns kaputtlacht, wenn herauskommt, dass es ein Schutzpolizist war, der den Schädel gefunden hat, während er am Weserstrand pissen war. Das steht in Tenges Zeugenaussage. Und es war bislang immer nur eine Frage der Zeit, bis solche delikaten Details an die Presse durchsickern. Besser wir machen kein großes Aufsehen und ermitteln still und heimlich, bis wir mehr wissen.« Kühlborn klang jetzt wie ein Diktator. »Todt und Cremer – ihr dreht noch mal jeden Stein in der Vermisstensache Wollenbeck um und guckt euch auch die anderen Frauen an. Wenn wir nicht weiterkommen, können wir immer noch überlegen, an die Öffentlichkeit zu gehen, aber erst Anfang April, also zu der Zeit, in der die Frauen verschwunden sind. Jetzt ist es dafür noch zu früh. Wir wissen zu wenig, um die Pferde scheu zu machen.« Kühlborn stand auf. Die Frühbesprechung war beendet. Er wollte in die Kantine. Es gab Braunkohl mit Pinkel. Und ihm knurrte der Magen.
    *
    »Kannst du dir erklären, warum der Alte sich so dagegen wehrt, die Medien einzuschalten?«, fragte Daniela Cremer Stefan Todt, als sie wieder allein in ihrem Büro saßen.
    Ihr Kollege zuckte mit den Achseln. Und dann war es plötzlich da. Dieses Sirren im rechten Ohr, das lauter wurde und lauter. Vor allem, wenn er unter Stress stand. Wie eine Sirene, die ihn warnen wollte. Todt versuchte, den Ton zu ignorieren. »Ich habe schon vor langer Zeit aufgegeben, Kühlborn verstehen zu wollen«, antwortete er und zündete sich die lang ersehnte Zigarette an.
    »Ich meine, was vergeben wir uns denn? Wir können doch nur gewinnen.« Daniela Cremer konnte sich noch immer nicht beruhigen. Sie war jung, engagiert und aus Überzeugung Polizistin geworden. Leute wie Kühlborn machten sie rasend.
    »Mich musst du nicht katholisch reden. Ich bin völlig deiner Meinung«, sagte Todt.
    Cremer schwieg einen Moment. »Kühlborn …«, murmelte sie dann.
    *
    In der Kantine im siebten Stock des Amtsgerichts, die nicht nur von Justizbediensteten, sondern auch von Polizisten und Mitarbeitern anderer Behörden genutzt wurde, stand Braunkohl mit Pinkel, eine Art Grützwurst, die Harry Tenge besonders liebte, auf dem Speiseplan. Den ganzen Vormittag hatte er sich darauf gefreut. Und nun konnte der Kollege, der vor ihm in der Schlange stand, den Hals nicht vollkriegen, füllte sich von allem die doppelte Portion auf den Teller: zwei Mal Kassler, zwei Mal Kochwurst, zwei Mal Pinkel. Mein Gott, was für ein verfressener Fettsack, dachte Harry Tenge und stutzte. Mensch, das war doch Kühlborn, der da vor ihm stand, Leiter der Mordkommission.
    Stimmt, fiel Harry

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