Tod eines Mathematikers
irgendwo gefangen war, gemeinsam mit seinem Komplizen um, nachdem sich beide an ihr gütlich getan haben … ihr wisst, was ich meine. Katzenstein und ein oder mehrere Komplizen verscharren die Leiche am Weserstrand. Das würde bedeuten, dass der Professor das Ergebnis der Gerichtsmedizin gar nicht mehr abwarten musste, weil er es kannte.«
Triumphierend blickte Blum in die Runde. Ab und an musste er – Fünf in Mathe hin oder her – zeigen, dass er eben doch logisch denken konnte.
»Heiner, das ist ein guter Gedanke«, antwortete Todt ruhig. »Daran haben wir auch schon gedacht. Es gibt allerdings zwei Gründe, die dagegensprechen: Zum einen haben wir den Schädelfund nicht veröffentlicht. Katzenstein müsste also einen Informanten in der Behörde gehabt haben, der ihm gesteckt hat, was wir am Weserstrand entdeckt haben. Dann wäre der Komplize innerhalb der Polizei zu suchen. Unwahrscheinlich zwar, aber wir haben schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen. Außerdem ist seine Tochter Alexandra Polizeireporterin. Einige von uns kennen sie ja. Viel schwerer wiegt aber, dass die Spurensuche davon ausgeht, dass der Schädel nicht am Weserstrand vergraben, sondern erst dorthin gespült wurde. Das übrige Skelett ist an der Fundstelle des Schädels nicht aufgetaucht. Es war also wirklich Zufall, dass dieser Harry Tenge von der Schupo ihn am Neujahrsmorgen vom Schnee befreit hat. Es gibt nach derzeitigem Ermittlungsstand keinen Zusammenhang zwischen dem Fund und dem Selbstmord.«
Todt machte eine kurze Pause, sah Blum dann direkt an. »Heiner, wenn du in der Schule in Mathe besser aufgepasst hättest, wüsstest du vielleicht, was ein Clusterkoeffizient ist.« In Wirklichkeit hatte Stefan Todt selbst keine Ahnung, was es damit auf sich hatte und ob der Begriff passte. Er war ihm nur gerade so eingefallen. Aber bluffen gehörte eben manchmal zum Handwerk.
Blum schwieg. »Um das jetzt kurz für Ungeduldige einzuschieben: Wir glauben, dass sich Katzenstein umgebracht hat, weil er depressiv war. Das hat uns sein Schachpartner Ernst Willich erzählt. Er war es übrigens auch, der die Leichen gefunden hat, nachdem seine Frau nicht nach Hause gekommen war. Ernst Willich hat mit Katzenstein Schach gespielt, war – abgesehen von so ein paar Stiftungsheinis in Hamburg – sein einziger sozialer Kontakt. Katzenstein saß meistens in seinem Arbeitszimmer und grübelte über irgendwelchen mathematischen Problemen.«
»Da muss man ja auch depressiv werden«, warf Blum trotzig ein. Niemand reagierte.
»Katzenstein hat zwar keinen Abschiedsbrief hinterlassen, aber er ist sehr sorgsam vorgegangen«, referierte Todt weiter. »Wir haben den Kassenbon für die Holzkohle in seinem Papierkorb im Arbeitszimmer gefunden. Also, ich bin offen für jede andere Theorie, aber ich glaube, dieser Fall ist klar. Selbstmord und fahrlässige Tötung, beziehungsweise ein Unfall. Ein Toter kann ja keine fahrlässige Tötung mehr begehen.«
Inzwischen war die Luft vernebelt, weil nun auch die anderen Kollegen rauchten. Todt spürte ein leichtes Ziehen in der Magengegend. Er hätte jetzt auch gern eine durchgezogen, aber er beherrschte die Technik des gleichzeitigen Rauchens und Redens im Gegensatz zu Kühlborn leider nicht.
»Zurück zu Nicole. Interessanter als der Selbstmord ihres Professors ist, dass in Bremen, wie wir ja alle wissen, seit 1985 fünf Frauen spurlos verschwunden sind. Bisher wurde keine Leiche gefunden. Es gibt keine Spuren. Nichts. Wenn alle Frauen Opfer eines Serientäters geworden sind, was wir derzeit nicht wissen, wäre Nicole sein zweites Opfer gewesen. Und wir hätten eine erste heiße Spur.
Die erste Frau hieß Claudia Tiefenbach und verschwand am 4. Mai 1985. Sie wurde zuletzt gesehen in einem Café an der Schlachte, das sie gegen achtzehn Uhr verließ, weil sie nach Hause wollte. Sie wohnte mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter im Steintorviertel, also nur ungefähr einen Kilometer vom Café entfernt. Zu Hause kam sie nie an. Tiefenbach war Krankengymnastin, siebenunddreißig Jahre alt, glücklich verheiratet und hätte ihre damals siebenjährige Tochter niemals im Stich gelassen. Nach ihr verschwand Nicole Wollenbeck. Und dann, fast auf den Tag genau fünf Jahre später, am 3. Juni 1995, wurde Charlotte Zander als vermisst gemeldet. Sie wurde zuletzt von Zeugen in der Rembertistraße gesehen, als sie vom Einkaufen kam. Zander war achtundzwanzig Jahre alt und von Beruf Erzieherin, nicht verheiratet, hatte
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