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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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zurückkam, so was halt. Hätte bloß noch gefehlt, dass er bei uns um Nicoles Hand angehalten hätte. Mein Mann sagte hinterher: ›Das Gedöns von dem würde mir auf die Nerven gehen. Hoffentlich verpasst sie dem schnell wieder den Laufpass.‹ Aber wir Frauen sind für so was ja empfänglich. Und Sie wissen ja, dass Väter immer eifersüchtig sind.«
    »Wie hieß denn der junge Mann?«
    »Bernward … An den Nachnamen kann ich mich nicht mehr erinnern. War irgendwas mit -wahn … nichts Alltägliches, jedenfalls.«
    Bollwahn, dachte Harry, sagte aber nichts. Er musste Nicoles Mutter ja nicht auf die Nase binden, wie gut er durch sein Aktenstudium bereits im Bilde war. »Bernward studierte auch Mathematik auf Lehramt, allerdings ein paar Semester über Nicole. Die beiden haben sich an der Uni kennengelernt. Ich glaube, er kam aus Bremerhaven. Natürlich ist auch er damals befragt worden. Die Polizei hat uns gesagt, er habe für den Tatzeitpunkt ein Alibi, er war wohl mit mehreren Leuten auf einem Segelschiff in der Südsee. Mein Mann hat das nie geglaubt. Der hatte den Bernward immer im Verdacht. Nicole hatte sich ja von ihm getrennt, weil er ihr, so sagte sie damals, ›die Luft zum Atmen‹ nahm. Und dann hat er ihr eine Weile lang sogar noch aufgelauert, stand vor ihrer Wohnung, hat sie dauernd angerufen. Heute würde man das wohl Stalking nennen. Und dann, nachdem Nicole verschwunden war, hat er das Studium geschmissen und lebte ein paar Jahre lang in Südamerika, soviel ich weiß.«
    Harry machte sich eifrig Notizen. Allmählich wurde das Bild, das er von Nicole bekam, immer konkreter. Der Totenschädel verwandelte sich in einen lebenden Menschen. Mit grünen Augen. Und einem netten Lächeln.
    »Das hilft mir alles sehr«, sagte Harry. »Ich wäre Ihnen nur sehr dankbar, liebe Frau Wollenbeck, wenn Sie der Mordkommission gegenüber nichts von meinem Besuch und meinem Vorhaben erzählen würden.«
    Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Mutter. »Versprochen, Herr Tenge. Ich kann dabei ja nur gewinnen. Je mehr Ermittler, ob offiziell oder privat, desto besser. Sie sollten auch unbedingt mit Simon sprechen. Er und Nicole standen sich sehr nahe. Ich werde Sie bei meinem Neffen ankündigen.«
    Harry nickte.
    Plötzlich legte Margarete Wollenbeck ihre Hand auf Harrys Unterarm. »Wissen Sie was, Herr Tenge? Schade, dass Sie und Nicole sich nie kennengelernt haben. Ich glaube, Sie beide wären ein schönes Paar gewesen.«
    Harry schluckte.
    *
    Simon Schröder saß zu Hause an seinem Schreibtisch. Am Schreibtisch hatte er gelebt. Am Schreibtisch wollte er sterben.
    Vor ihm lag eine Walther P99 Q. Die Waffe war einem Bullen Silvester auf der Sielwallkreuzung geklaut worden. Schröder hatte keine Sekunde gezögert, als ein stadtbekannter Zuhälter ihm die Pistole für dreihundertfünfzig Euro angeboten hatte. Er hatte geahnt, dass er sie nun bald brauchen würde.
    Schröder trank einen Schluck Bourbon. Die Eiswürfel klirrten leise im Glas. Seine letzte Flasche Booker’s. Er ließ seine Fingerkuppen über das raue Papier des Etiketts gleiten. Schade, dass er keine Zeit mehr haben würde, die Flasche auszutrinken. Immerhin hatte der gute Tropfen über fünfzig Euro gekostet. Aber er durfte nicht zu betrunken sein, wenn er sich eine Kugel durch den Kopf jagte. Zwei, drei Gläser mussten reichen, um sich Mut anzutrinken. Aber auf Booker’s war mit einem Alkoholgehalt von über sechzig Prozent in dieser Hinsicht wirklich Verlass.
    Schröder hatte das Licht in seinem Arbeitszimmer gelöscht, saß im Dunkeln. Im Haus gegenüber war es noch hell, er konnte den Deutschlehrer sehen, der zu dieser späten Stunde noch am Schreibtisch saß und Aufsätze korrigierte. Schröder hatte oft mit ihm darüber gestritten, was ein guter Text sei.
    Der Schalldämpfer würde verhindern, dass sein Nachbar den Schuss hörte. Und da Schröder im Dunkeln saß, würde der Lehrer die Schweinerei auch nicht mitansehen müssen.
    Zweiundfünfzig, eigentlich kein Alter zum Sterben, dachte Schröder. Aber er musste es jetzt tun. Es gab kein Zurück mehr. Es war an der Zeit.
    Hatte er eigentlich irgendwas richtig gemacht in seinem Leben? Schon in der Schule hatte er Journalist werden wollen. Na ja, ein bisschen was hatte er auch erreicht, in all den Jahren. Dass er mit Anfang dreißig schon Lokalchef gewesen war und auf diesem Posten über zwei Jahrzehnte in Bremen ausgeharrt hatte – geschenkt. Aber die Skandale, die er aufgedeckt hatte. Den

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