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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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gedankenverloren eine weiße Dame vom Schachbrett und drehte sie zwischen seinen Fingern. »Wahrscheinlich gehört das zur Trauerarbeit, dass du nicht akzeptieren kannst, dass dein Vater sich das Leben genommen hat. Sei vorsichtig Alexandra, mit wem du über deinen Verdacht sprichst. Nicht, dass die Mathematiker dich wegen übler Nachrede drankriegen. Aber halte mich gern auf dem Laufenden. Ich meine, sollte es da doch irgendwelche Anhaltspunkte geben, müssen wir natürlich zur Polizei. Das mit dem Erbe ist in der Tat komisch.«
    Ich war gerührt. Dieser Mann hatte gerade seine Frau verloren und versuchte trotzdem, mich zu trösten, bot mir sogar seinen Beistand an.
    Wenig später verabschiedete ich mich von Ernst. Er ließ es sich nicht nehmen, mich zur Haltestelle zu begleiten, wartete, bis die Straßenbahn gekommen und ich eingestiegen war. Er winkte mir, als die Bahn anfuhr. Ich war froh, dass ich zu ihm gefahren war. Ernst hatte mit mir geredet wie ein Vater. Einen Moment lang beneidete ich seine Tochter. So einen Vater hätte ich auch gerne gehabt.
    *
    Margarete Wollenbeck war eine Frau, der man auf den ersten Blick ansah, dass sie viel durchgemacht hatte. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, gegen die auch der helle Puder, den sie sorgsam aufgelegt hatte, nichts ausrichten konnte. Der Kummer hatte ihr tiefe Furchen ins Gesicht gegraben. Ihr graues Haar trug sie toupiert, wie es in den Sechzigerjahren Mode gewesen war. Sie war klein und mollig, ihre randlose Brille fiel kaum auf. Nicoles Mutter hatte sich fein gemacht für Harrys Besuch, trug eine weiße Bluse, dazu eine schwarze Hose.
    Das Einwohnermelderegister, in das sich Harry über den Polizeicomputer einloggen konnte, hatte ihm verraten, dass Margarete Wollenbeck vor zehn Jahren von Bremen zurück in ihre Heimatstadt Oldenburg gezogen war. Sie lebte jetzt allein im Stadtteil Bümmerstede. Am Telefon hatte sich Harry nur als Oberkommissar Tenge von der Polizei Bremen vorgestellt, sich jedoch nicht als Finder des Totenschädels geoutet. Er war bemüht gewesen, in seine Stimme die richtige Mischung aus Autorität und Anteilnahme zu legen. Doch nun bereute Harry, dass er zu Nicoles Mutter gefahren war.
    Auf dem weiß gedeckten Tisch zwischen ihm und Margarete Wollenbeck standen ein Kuchen, zwei Tassen Kaffee und zwei Teller, mit je einem Stück Marmorkuchen.
    »Gibt es denn neue Erkenntnisse im Falle meiner Tochter?«, wollte Margarete Wollenbeck wissen.
    »Ja, wissen Sie …«, druckste Harry herum. »Ich bin nicht wegen der Ermittlungen hier. Äh, das heißt eigentlich doch. Aber …«
    Margarete Wollenbeck zog die Stirn in Falten, sah Harry irritiert an.
    »Also, äh, ich bin, äh, persönlich in den Fall involviert, irgendwie«, stammelte Harry.
    »Bitte?«, hakte Frau Wollenbeck nun vollends verwirrt nach.
    Harry spürte, wie ihm heiß wurde. Verdammt, wie war er bloß auf die Idee gekommen, hier den Ermittler zu spielen?
    »Gewissermaßen, jedenfalls«, schob er hilflos hinterher.
    »Wie meinen Sie das?« Margarete Wollenbeck schien ungeduldig zu werden. Jetzt hampel hier nicht so rum, du bist Oberkommissar, sprach eine innere Stimme zu Harry.
    »Ich bin nicht bei der Mordkommission.« Endlich war es raus. »Ich bin nicht mal bei der Kripo, ehrlich gesagt.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Margarete Wollenbeck fast ein bisschen ärgerlich. »Aber Sie sind doch Polizist. Oder?!«
    »Ja, ja«, beeilte sich Harry zu sagen. »Ich bin Schutzpolizist. Schutzpolizist in Bremen. Und am Neujahrstag, da habe ich …« Harry stockte.
    »Da haben Sie …«, versuchte Margarete Wollenbeck, ihm zu helfen.
    »Da habe ich den … den Schädel Ihrer Tochter gefunden. Zufällig. Im Schnee. Ich hatte in der Silvesternacht Dienst und bin noch mal zum Weserstrand rausgefahren, um mir den Kopf durchpusten zu lassen.« Dass er den Schädel freigepinkelt hatte, verschwieg er lieber. Die Mutter musste nicht jede Einzelheit wissen.
    »Ach so, jetzt verstehe ich«, sagte Margarete Wollenbeck. »Sie waren das also.«
    »Es war mir ein Bedürfnis, Sie persönlich kennenzulernen. Ich hätte vielleicht gleich am Telefon klarstellen sollen, dass ich zwar der Finder, nicht aber einer der Ermittler bin.«
    »Ja, vielleicht«, winkte Margarete Wollenbeck ab. »Aber es spricht für Sie, dass Sie am Schicksal meiner Tochter Anteil nehmen wollen. Wissen Sie, als die beiden Polizisten mir die Nachricht überbrachten, war das irgendwie auch wie eine Erlösung. Endlich Gewissheit.

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