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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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Senator, den er zum Rücktritt gezwungen hatte. Der Politiker hatte Schwarzarbeiter beim Bau seines Hauses beschäftigt. Nur vierzehn Tage nachdem seine Partei in der Bürgerschaft ein strengeres Maßnahmepaket gegen Schwarzarbeit durchgedrückt hatte.
    Aber war das wirklich wichtig?
    Meistens war er sich in seiner Position ziemlich machtlos vorgekommen. Der Richter, auf dessen Dienstrechner Nacktfotos kleiner Mädchen sichergestellt worden waren, sprach noch heute Recht in Bremen, weil er das richtige Parteibuch besaß. Und auch der Abgeordnete, der seine Ehefrau verprügelte, schämte sich nicht, regelmäßig die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu fordern. Selbst Kühlborn war immer noch Chef der Mordkommission, obwohl er einem konkreten Hinweis auf einen Mord nicht nachgegangen war. Mit tödlichen Folgen. Und der Staatsrat, der, anstatt zu arbeiten, seine Dienstzeit lieber in den Kneipen absaß und sich volllaufen ließ, überlebte Legislaturperiode um Legislaturperiode. Aber so war das in Bremen: Mit der richtigen Parteizugehörigkeit in der Tasche wurde die Stadt selbst für die größten Versager zu einer komfortablen Hängematte, in der sie sich bequem ausruhen konnten.
    Schröder hatte sich immer eingebildet, ein kleines Rädchen im großen Getriebe Demokratie zu sein. Und das hatte ihm genügt. Nein, genügt war falsch. Stolz war er gewesen. Unzählige scharfe Kommentare hatte er geschrieben, den Moralapostel gespielt. Dabei war Schröder selbst nicht besser … nein, er war sogar schlimmer als all die Politnasen, denen er jahrelang den Spiegel vorgehalten hatte. Er, Simon Schröder, war der größte Heuchler von allen.
    All seine Artikel und Kommentare würden, selbst wenn jedes Wort darin stimmte, bald nicht mehr sein als das Werk eines Heuchlers.
    Schröder dachte an sein Exfrau Jutta. Und an Thorsten, seinen Sohn. Immer hatte sein Beruf für ihn an erster Stelle gestanden. Termine, fast jeden Abend, Wochenendarbeit. Und irgendwann war Jutta halt ausgezogen, hatte wieder geheiratet und noch eine Tochter bekommen. Thorsten war zum Studieren in die USA gegangen und dort geblieben. Schon seit Jahren hatte er keinen Kontakt mehr zu ihm. Er war, das musste er sich eingestehen, ein lausiger Ehemann und Vater gewesen.
    Was wohl seine Kollegen denken würden? Alexandra zum Beispiel. Komisch, dass er jetzt ausgerechnet an Ali denken musste. Nie würde er vergessen, wie sie vor ihm gestanden hatte mit ihren achtzehn Jahren: klein, dürr, mit hochgezogenen Schultern und diesem traurigen, flehenden Blick.
    Erst viel später hatte er erfahren, dass sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Villa ihrer Eltern geflohen war. Alexandra ahnte nicht, dass er sogar mal bei ihrem Vater gewesen war und versucht hatte, mit ihm zu reden. Nicht nur über sie, sondern auch über seine Cousine Nicole, die ja Katzensteins Studentin gewesen war. Katzenstein, ein unangenehmer Choleriker, hatte ihn rausgeworfen. Und nun war der Professor tot. Nicole, der Gedanke an seine Cousine war Schröder unerträglich. Seine kleine Nicole …
    Es gab keinen anderen Weg. Er würde die Enttäuschung, Empörung und Verachtung seiner Familie, Freunde und Kollegen nicht aushalten. Nie wieder würde er jemandem in die Augen sehen können. Scham war ein furchtbares Gefühl.
    Er hatte keinen Abschiedsbrief geschrieben. Alles würde sich von selbst erklären. Er hatte nicht lassen können von dem Übel. Und am Ende hatte er jedes Maß verloren … Nie hätte er für möglich gehalten, dass er mal so enden würde. Egal, keine Sentimentalitäten jetzt.
    Vor Montagmorgen würde ihn niemand vermissen. Dann, gegen acht Uhr, würde der Hausmeister kommen, um nach der Gastherme zu sehen. Schröder grinste. Er hatte diesen Wichtigtuer nie leiden können. Geschah ihm ganz recht, dass er nun seine Leiche finden würde. Er hatte ihm neulich den Zweitschlüssel für seine Wohnung aus purer Berechnung in die Hand gedrückt.
    Schröder nahm die Waffe in die Hand. Sie fühlte sich gut an. Fast beruhigend. Er durfte nicht zu lange zögern, sonst würde ihn der Mut verlassen. Schröder füllte seinen Mund mit Whisky, lehnte seinen Kopf leicht zurück, schob sich den Lauf in den Mund. Mit einem Ruck zog Schröder am Abzug. Ein irrer Druck war das Letzte, was er spürte. Das Projektil durchschlug sein Hirn, trat am Hinterkopf mit einer blutigen Fontäne wieder aus und bohrte sich mit einem dumpfen Knall in die Wand. Blut, Hirn, Knochenstücke spritzten.

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