Tod eines Mathematikers
auf, als wolle ich, wie im Dampfbad üblich, meinen Sitzplatz abspritzen. Das Wasser war eiskalt. Hinter mir hörte ich ein leises Stöhnen. Der Typ hatte offenbar keine Ahnung, was ich vorhatte. Blitzschnell drehte ich mich um und spritzte ihn nass. Der Mann quiekte, das Ding in seiner Hand erschlaffte sekundenschnell. Völlig perplex starrte er mich an. Ich machte, dass ich rauskam. Ohne mich noch mal abzuduschen, eilte ich in die Umkleidekabine und zog mich an, so schnell ich konnte.
Plötzlich flog die Tür auf. Mein Herz raste. Der Typ. Eine Waffe, schnell. Irgendetwas. Der Feuerlöscher. Gerade als ich ihn aus seiner Wandhalterung reißen wollte, sah ich, dass eine Frau zur Tür hereingekommen war. Der Schreck durchzuckte mich schlimmer, als wenn der Typ mir gefolgt wäre. Die Frau war vielleicht ein paar Jahre älter als ich und ein bisschen größer. Ansonsten glichen wir einander fast wie Zwillinge. Sie hatte meine Augen, meine Nase, meine blasse Haut. Nur meine Lippen waren voller. Doch ihre Haare waren gelockt und tief dunkelrot, wie meine. Ich glaubte, mein Spiegelbild zu sehen.
*
Sie ist an der Nordsee. Der Peilsender funkt verlässliche Signale. Ihr Kater schaut vorwurfsvoll, weiß, dass er nicht hier rein darf. Aber es muss sein. Zärtlich streicht er über den Schatz in seiner Hand. Er ist so klein. Kaum größer als eine SIM-Karte. Und so einfach zu bedienen. Er hat eine Prepaid-Karte fürs Handy in die Wanze geschoben. Damit hat das winzige Abhörgerät eine Nummer, die er anrufen kann, so als wäre es ein herkömmliches Telefon. Er kann es kaum erwarten, die Nummer zu wählen, wenn sie wieder da ist. Geräuschlos wird er mit seinem Anruf das Mikrofon einschalten. Und dann kann er endlich mithören, was in ihrer Wohnung geschieht. Ihr nahe sein. Sich vorbereiten auf seinen großen Plan.
Er klebt die Wanze unter ihr Bett, gut versteckt in einer Ecke an der Innenseite des Metallgestells. Bevor er geht, will er noch einen Slip aus ihrem Wäschekorb klauen. Er öffnet den Korb. Leer. Bevor sie weggefahren ist, hat sie ihre dreckige Wäsche gewaschen. Das wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen. Schade.
*
Lokalchef Knut Kossek saß in der Redaktion an seinem Schreibtisch und war verzweifelt. Stilblütenkönig Schwabach hatte wieder zugeschlagen. Kossek scrollte auf seinem Bildschirm über den Artikel, den Schwabach abgeliefert hatte. Es ging um einen anonymen Spender, der in regelmäßigen Abständen ein Behindertenheim bedachte. Der Anonymus steckte braune DIN-A5-Umschläge mit Hunderteuroscheinen in den Briefkasten der Einrichtung oder legte sie unter die Fußmatte. Niemand hatte ihn je dabei beobachtet. Die Identität des unbekannten Robin Hood ist geheimnisumwölkt, hatte Schwabach gedichtet. Robin Hood beraubte die Reichen ihres Vermögens, um es den Armen zu geben. Über den namenlosen Gönner, wie Schwabach ihn genannt hatte, wusste man nichts. Aber er war aller Wahrscheinlichkeit nach kein Räuber. Außerdem blieb er anonym, war aber nicht namenlos. In Deutschland bekam jedes Kind nach der Geburt einen Namen. In Osnabrück blühen die Gerüchte, wer der edle Anonymus sein könnte. Blumen blühen. Gerüchte schießen ins Kraut, dachte Kossek. Und selbst das war eine Floskel, die man vermeiden sollte. Doch Kossek durfte Stilblütenkönig Schwabach, wie er ihn heimlich nannte, nicht redigieren. Torben-Hendrik Schwabach war von Beruf Neffe. Neffe des Verlegers. Eigentlich hätte Schwabach es nicht nötig gehabt, sich im Lokalteil des Osnabrücker Generalanzeigers zu verewigen. Doch er hatte einfach Lust zum Schreiben und hielt sich für eine pulitzerpreisverdächtige Edelfeder. Und alle bestärkten ihn in diesem Glauben. Die Honoratioren der Stadt, die Kollegen. Und auch Knut Kossek schwieg. Schließlich wollte er seinen Job nicht riskieren.
Nach seinem Studium – Germanistik und Geschichte – war Kossek aus Bremen weg- und ein paar Jahre lang durchs Land gezogen wie ein Nomade: Köln, Hannover, Kassel, Frankfurt, nach der Wende ein paar Jahre Leipzig. Die Liebe hatte ihn schließlich nach Osnabrück gelockt. Die Liebe war längst gegangen, aber er war in der Stadt geblieben.
In ein paar Jahren würde Torben-Hendrik Schwabach, der gerne karierte Hosen und Fliege trug, sein Chef werden. Der Verleger war kinderlos und Torben-Hendrik sein Lieblingsneffe. Kossek würde dann bis zur Rente ›nur die Rechtschreibfehler‹ korrigieren dürfen, wie der Neffe jedes Mal betonte, wenn er ihm
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