Tod eines Mathematikers
gerade, nach einem öden Vortrag, ein noch öderes Thema vorgeschlagen hatte, lächelte geschmeichelt.
Kossek nickte ihm zu. »Gekauft«, sagte er, ohne zu wissen, was er nun morgen im Blatt haben würde.
Er hatte sie in der Hand, konnte ihr das Leben zur Hölle machen, wenn er wollte.
Bei Tageslicht war sie fast noch hübscher als in der schummrigen Kneipe. Nicht so aufgebrezelt und geschminkt. Plötzlich setzte sie sich aufrecht hin, verschränkte die Arme vor der Brust. Sah ihm geradewegs ins Gesicht. Ein Blick wie eine Kampfansage. Na warte, du kleine Schlampe, dachte Kossek.
*
O Mann, die Katzenstein! Was war denn nun schon wieder? »Alexandra, jetzt warte doch mal!« Als ob der Leibhaftige persönlich hinter ihr her wäre, raste sie durch den Redaktionsflur. Matze hatte Mühe, ihr zu folgen. Er war gerade von einem Termin zurückgekehrt, gerade noch rechtzeitig zum Ende der Redaktionskonferenz. Die Tür zum Konferenzraum war aufgeflogen und die Katzenstein war als Erste herausgestürmt. Und er musste dringend mit ihr reden. Zum einen, um Dinge zu sagen wie ›Na, wie war dein Urlaub?‹ und so. Und zum anderen, weil er ihr die These vom Mord an ihrem Vater ausreden wollte.
Und was machte sie? Hatte kein Wort für ihn, würdigte ihn nicht mal eines Blickes, sondern rauschte einfach an ihm vorbei. Wie eine Operndiva nach einem verpatzten Auftritt. Verblüffend schlechte Manieren für eine Professorentochter, dachte er.
Was für ein lächerliches Bild: Der kleine Dicke hechelt hinter der Schönen her und die nimmt ihn überhaupt nicht wahr. Okay, wahrscheinlich hatte sie gerade wirklich keine Zeit. Wahrscheinlich hatte ihr KK, wie der neue Chef Knut Kossek von allen hinter vorgehaltener Hand nur genannt wurde, gerade einen dringenden Termin aufs Auge gedrückt. Aber dann könnte sie ihm das doch sagen! Sie waren doch Kollegen. Und sie hätten sich für später verabreden können.
Letzter Versuch im Guten. »Alexandra, wir müssen reden!« Keine Chance. Okay, dann eben ganz direkt. Direkt und brutal. Manchmal der einzige Weg bei den Weibern, dachte er.
»Alexandra, dein Vater wurde nicht ermordet! Er hat sich umgebracht!«
Abrupt blieb die Katzenstein stehen.
Siehste, dachte er. Geht doch.
Sie drehte sich langsam zu ihm um. »Was sagst du da?«
»Erst mal hallo. Wie war dein …«
»Ja, ja, schon gut. Was hast du eben über meinen Vater gesagt?«
»Er wurde nicht ermordet. Er hat Selbstmord begangen.«
Sie funkelte ihn böse an. »Sagt wer?«
»Ernst Willich. Harry und ich haben mit ihm …« Die Worte ›Ernst Willich‹ hatten seinen Mund kaum verlassen, da setzte die Katzenstein ihren Weg unbeirrt fort. Nur noch etwas schneller als vorher.
»Ernst ist wirklich ein netter Mann. Korrekt und zuverlässig. Aber was meinen Vater betrifft, liegt er völlig falsch.«
»Alexandra, dein Vater hatte seit Jahren schwere Depressionen, es war nur eine Frage der Zeit …«, brachte Matze keuchend hervor. Bei dem scharfen Tempo hatte er allmählich Mühe mitzuhalten.
»Ja, das wollte er mir auch schon einreden. Und nicht nur das: Er wollte mir doch tatsächlich weismachen, dass mein Vater mich in Wirklichkeit geliebt hat.« Die Katzenstein lachte völlig irre. »Geliebt. Mein Vater. Mich. Nee, schon klar. Deswegen hat er mich ja auch enterbt.« Die Katzenstein hielt wieder abrupt an und er wäre fast in sie reingelaufen.
Wieder sah sie ihn misstrauisch an. »Wenn du es genau wissen willst: Mein Vater hat mich nicht nur nicht geliebt, sondern sogar gehasst. Und weißt du was: Ich kann ihn sogar verstehen.«
Verdammte Kacke, was sollte das nun wieder heißen? Kossek, der neue Chef, schlenderte lässig vorbei und lächelte Matze freundlich zu. »Moin, Matze.«
»Moin, moin.«
Die Katzenstein warf KK einen eisigen Blick zu, offenbar verärgert über die Störung. Dann raste sie wieder los. Und erhöhte ihr Tempo ein weiteres Mal. »Geliebt. Mich. Hahaha«, stieß sie noch einmal hervor.
Matze blieb stehen und sah ihr nach. Unglaublich, wo hatte Alexandra bloß diese Kondition her, überlegte er. Oder war sie nun völlig verrückt geworden?
*
Lieselotte Weinert-Klemm hatte sich nicht gemeldet. Am Wochenende fuhr ich nach Neuwarden, um an ihrer Haustür zu klingeln. Als Polizeireporterin war ich ja geübt in solchen Überfällen.
Die Arbeit in der Redaktion war nicht gerade einfach. Gegenüber Knut Kossek versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, tat, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen.
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