Tod eines Mathematikers
wir uns im Scusi an einen Tisch in der Ecke gesetzt hatten, stand plötzlich Kossek im Kellergewölbe. Sein Anblick durchzuckte mich wie ein leichter Stromschlag.
»Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue! Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als du mir nicht sofort auf meine SMS geantwortet hast.« Fabian lächelte so süß, dass es mich rührte. Er hatte, wenn man sich ihn genauer ansah, eigentlich ein wirklich schönes Gesicht. Ein männliches Schneewittchen mit dunklen Augen. Ein Kellner scharwenzelte um Kossek rum. Demonstrativ strahlte ich Fabian an.
Er hatte sie sofort gesehen. Ihr Rotschopf leuchtete. Glühte geradezu. Wie ein Signalfeuer, an dem sich in Seenot geratene Seefahrer orientieren konnten. Kossek hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Aber sie hatte ihn auch schon gesehen. Und dann ganz schnell wieder weggeguckt.
Und noch jemand hatte ihn entdeckt: Franco, der Kellner, kam freudestrahlend auf ihn zu. »Maestro, isse ziemlich volle, aber für Sie naturlich immer eine Platze.« Franco geleitete ihn zu einem Tisch, der zwar in sicherer Entfernung zu der Katzenstein stand, aber dennoch in Sichtweite war. Jetzt kreuzten sich ihre Blicke. Sie nickte ihm kurz zu, war, wie ihm schien, etwas peinlich berührt. Er tat überrascht, erwiderte den Gruß knapp und vertiefte sich sogleich in die Speisekarte.
Das Scusi im Schnoor war einer seiner Lieblingsitaliener und er hatte mal wieder die Qual der Wahl an Köstlichkeiten. Die Frage alle Fragen aber war: Wer saß mit Alexandra da drüben am Tisch? Er sah irgendwie merkwürdig aus. Wie einem Historienfilm entsprungen. Nein, wie aus einem Horrorfilm! Fast schulterlanges, schwarzes, leicht gewelltes Haar, kalkweißes Gesicht, schwarze Klamotten. Bestimmt Künstler oder so.
Irgendwie kam er Kossek bekannt vor. Hatte er vielleicht mal mit ihm gemuckt? Nee, daran hätte er sich erinnert. Wo hatte sie den bloß aufgegabelt? Beziehungsweise, er sie? Wäre ich Regisseur, würde ich dem Typen die Rolle eines wahnsinnigen Serienmörders geben, dachte Kossek und vertiefte sich in die Speisekarte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Kossek. Er studierte die Speisekarte, als wolle er sie auswendig lernen. Der Kellner kam zu uns an den Tisch. Ich entschied mich für Spaghetti Capitano Nemo mit Meeresfrüchten. Fabian nahm Schweinemedaillons in Sahnesoße. Dazu eine Flasche Rotwein.
»Und? Was hast du in den letzten Tagen so für Katastrophen berechnet?«, fragte ich.
Fabian schien darauf zu brennen, mir von seinem Beruf zu erzählen. »Ich habe mich mit der Berechnung für die Gesamtkapitalanforderung bestimmter Katastrophenrisiken beschäftigt.«
Ich rang mir ein Lächeln ab, heuchelte Interesse.
»Maestro, habbe scho gewählt? Wasse darf isch heute bringe?«
Kossek blickte verdutzt auf. »Sorry Franco, ich brauch noch ’ne Weile.«
»Kann isch empfehle heute Spaghetti mitte Meeresfruchte.«
»Och …«
»Serr gut gehte heute auche Salmone al Zafferano.«
»Ach, ich nehme lieber ’n Rumpsteak mit grünem Pfeffer in Sahnesauce und dazu ’nen Chianti.« Die Wahl war nicht weiter überraschend, denn das war Kosseks Standardessen im Scusi .
»Iste gute Wahl«, versicherte Franco grinsend, deutete eine Verbeugung an und eilte davon.
Kossek schielte zur Kleinen. Und zu dem komischen Vogel. Täuschte er sich oder hing sie gerade gebannt an seinen Lippen? Verliebt? Oder bloß rollig?
Natürlich war es ihm scheißegal, mit wem Kerbe vierundsiebzig gerade rummachte. Wirklich, scheißegal. Echt jetzt. Ihre Sache. Heute mit dem. Und morgen mit ’nem anderen. Kannte man ja. Ging ihn ja nichts an. Aber war sie nicht schwanger?
»Ich finde das brennend interessant, was du da erzählst, aber ich muss zugeben, dass das so gar nicht meine Welt ist«, säuselte ich.
Den Katastrophenkalkulator schien es nicht zu stören, dass er mit einer mathematischen Analphabetin am Tisch saß. »Hauptsache ich langweile dich nicht«, schmachtete er mich an. Klar schmeichelte es seiner männlichen Eitelkeit, dass er jetzt den Dicken markieren konnte.
»Aber nein, ganz im Gegenteil, du langweilst mich überhaupt nicht«, log ich.
Fabian strahlte und redete weiter. »Vereinfacht gesagt, unterscheidet man zwischen Naturkatastrophen, Katastrophen, die von Menschen verursacht werden, und anderen Katastrophenrisiken …«
Ich nickte und beobachtete, wie Kossek, der ein paar Tische schräg hinter Fabian saß, mit seinem iPhone rumspielte.
Kossek checkte seine SMS: nichts
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