Tod eines Mathematikers
Besonderes. Er ging ins Internet, rief seine Mails ab: nichts. Er klickte auf stern-, Spiegel- und BILD-Online . Nur schlechte Nachrichten, wie immer. Frustriert steckte er das Ding wieder ein. Franco servierte den Chianti und Kossek bedankte sich, trank. Seine lange Mähne, die ihm ins Gesicht fiel, erlaubte ihm, die Kleine und ihren Begleiter unauffällig zu beobachten. Eines war klar: Gepimpert hatten die noch nicht. Sonst würde der komische Vogel nicht so albern rumbalzen. Eines war aber genauso klar: Die würden heute noch in der Kiste landen. Wenn sich der Vogel nicht vollkommen blöd anstellte. Kossek ärgerte sich, dass er Gaga nicht mitgebracht hatte. Die wäre bestimmt mitgekommen. Stattdessen saß er hier allein rum. Und die Kleine amüsierte sich königlich. Was konnte dieser Grufti ihr schon zu erzählen haben?
»… also Naturkatastrophen sind Hagel, Sturm, Überschwemmung, Erdbeben und die sogenannte Erdsenkung. Ähnlich wie bei kommerziellen geophysikalischen Modellen werden die Gefahren in bestimmte Zonen eingeteilt …«
Geophysikalische Modelle … Gott, wie dröge. Ich legte Fabian die Hand auf den Unterarm. Er sollte endlich den Mund halten. Wie erhofft, verstummte er, sah mich an. Er hatte wirklich schöne Augen.
»Sag mal, kanntest du eigentlich eine Nicole Wollenbeck?«, fragte ich.
Fabian überlegte einen Moment. »Wollenbeck, Wollenbeck. War das nicht die Studentin, die spurlos verschwunden ist?«
»Genau die.«
»War eine Kommilitonin von mir. Ich kannte sie nur flüchtig. Ihr Verschwinden hat damals ziemlichen Wirbel an der Uni ausgelöst. Auch dein Vater war ziemlich fassungslos. Übrigens habe ich dir was mitgebracht.«
Kossek stutzte. IHRE HAND LAG AUF SEINEM UNTERARM. Was sollte das denn? Der Steinzeitmann in ihm wäre jetzt am liebsten rübergegangen und hätte diesem komischen Vogel eine geballert. Jetzt reichte er ihr auch noch etwas über den Tisch. Ein GESCHENK. Schleimer. Sah aus wie ein Buch. Was würde der ihr schon für ein Buch schenken? Rilke vielleicht. Einfaltspinsel. Oder Pralinen? Aßen Frauen nicht erst Pralinen, wenn sie verheiratet waren? Sie bedankte sich überschwänglich, als hätte er ihr den Heiligen Gral überreicht. Stand auf, wankte auf ihren hohen Stiefeln rüber zu diesem Kauz, als wäre sie betrunken. Und dann gab sie ihm einen Kuss. AUF DEN MUND. Mitten im Restaurant. Also, wirklich … Albernes Getue. Endlich brachte Franco das Steak.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Als ich das Geschenkpapier aufriss, fühlte ich mich wie eine Vampirfrau, die versehentlich den Vorhang eines Fensters aufgezogen hatte und vom todbringenden Tageslicht geblendet wurde. Die Poesie der Mathematik las ich auf dem Buchtitel. Wäre Kossek nicht gewesen, hätte ich den Schinken, der bestimmt über tausend Seiten dick war, sofort auf den Boden gepfeffert und wäre gegangen. So aber nahm ich all meine Kraft zusammen, stand auf, ging zu Fabian, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen und bedankte mich, als hätte er mir gerade einen Einkaufsgutschein von Gucci über fünftausend Euro geschenkt.
Kossek zersäbelte sein Steak, als wolle er das Stück Rind, das tot auf seinem Teller lag, noch einmal niedermetzeln.
»Noch mal zu Nicole Wollenbeck. Du sagtest eben, mein Vater sei fassungslos gewesen?«
»Ja, wenn ich ehrlich sein soll, gab es damals sogar das Gerücht, dass er ein Verhältnis mit ihr hatte. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Kann ich mir eigentlich auch nicht vorstellen.«
»War Nicole Wollenbeck hübsch?«
»Also, sie sah schon ganz gut aus, aber mein Typ war sie nicht.«
Fabian Mohr hatte nichts mit dem Verschwinden von Nicole Wollenbeck zu tun. Das sagte mir mein Bauchgefühl. Die Unschuld, mit der er über sie sprach, war nicht gespielt. Wenn er in ihren Tod verwickelt gewesen wäre, hätte er wohl eher vorgeschützt, sie gar nicht zu kennen oder sich nicht zu erinnern. Irritiert bemerkte ich, wie erleichtert ich war.
Ob das Messer scharf genug war, um diesen schleimigen Typen zu erdolchen?, überlegte Kossek und wunderte sich über sich selbst. Was ging ihn die Kleine an? Er hatte sie doch schon flachgelegt. Was wollte er denn mehr?
Fabian Mohr war überglücklich. Er hatte lange überlegt, ob er es wagen könne, Alexandra so ein Buch zu schenken. Und nun war sein Geschenk ein solcher Volltreffer geworden. SIE hatte IHN geküsst. Und gleich würde er vielleicht noch ganz andere Sachen mit ihr machen. Gut, dass er die farbigen Kondome eingesteckt
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