Tod eines Tenors
Überreaktionen, Mr. Llewellyn?«, fragte Evan leise. »Sie ist hochgradig nervös und sehr emotional.« »Und denken Sie, dass sie ihn getötet haben könnte?« Justin gab keine Antwort.
»Haben Sie den Verdacht, dass sie Ihren Vater getötet hat?«, wiederholte Evan. »Haben Sie einen Beweis dafür?« Justin sah aus dem Fenster.
»Mr. Llewellyn, wenn sie so labil ist, wie Sie sagen, könnte sie sich auch selbst das Leben nehmen.
Wollen Sie das?«
Justin seufzte. »Nein.«
»Sie müssen sie immer noch lieben, sonst hätten Sie nicht Ihr Leben für sie riskiert.«
»Natürlich liebe ich sie noch, verdammt!« Er senkte wieder die Stimme. »Okay, ich war letzte Woche im Haus. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich meine Mutter besuchen wollte. Sie war nicht da. Als ich alleine im Haus war, hat das Telefon geklingelt, aber ich habe nicht abgehoben. Ich wollte nicht, dass jemand erfährt, wo ich bin. Der Anrufbeantworter sprang an, es war Christine. Sie erklärte meinem Vater, dass sie ihn Wiedersehen müsse, sie sei in einem Hotel in der Gegend. Sie wisse, dass seine Frau das Dorf für einige Tage verlassen habe. Sie hinterließ eine Telefonnummer, und sie ... sie sagte, dass sie ohne ihn nicht leben könne und dass sie ihn davon überzeugen wolle, dass auch er nicht ohne sie leben kann.«
Er sah Evan an mit dem ängstlichen, hoffnungslosen Blick eines jungen Mannes, der eine schreckliche Bürde zu tragen hat.
»Und was haben Sie dann getan?«, fragte Evan.
»Ich ging hinunter und löschte die Nachricht.« Er starrte geradeaus in den Regen. »Verstehen Sie nicht - ich war vielleicht derjenige, der sie in die Verzweiflung getrieben hatte.«
»Sie haben getan, was Sie für das Beste hielten«, gab Evan zurück. »Sie wissen nicht zufällig, in welchem Hotel sie abgestiegen ist?«
Justin schüttelte den Kopf. »Diese walisischen Namen klingen alle gleich für mich.«
»Das war zu erwarten«, brummte Evan.
Eine Tankstelle tauchte vor ihnen auf und Evan bog von der Straße ab. »Ich rufe im Präsidium an.
Sie müssten eine Liste aller Anrufe haben, die vergangene Woche im Haus eingegangen sind.«
Er rannte zu der Telefonzelle und wählte. Nur wenig später war er wieder im Auto. »Das Pias Coed in Betws-y-Coed. Hätten Sie etwas dagegen, mit mir hinzufahren? Wir könnten vielleicht herausfinden, wann sie es verlassen hat und wohin sie gegangen ist.«
Eingebettet in eine schmales Tal auf der anderen Seite des Berges, erlebte Betws-y-Coed gerade den Höhepunkt der Touristensaison. Allerdings auf sehr vornehme Art - hier gab es nichts für die Rummel-Fraktion, noch nicht einmal viel für Familien. Stattdessen gab es erlesene Teeläden und Geschäfte, in denen Wolle und Kunsthandwerk aus der Region verkauft wurden, direkt hinter dem Ort die Swallow-Wasserfälle und idyllische Weiden entlang des Flusses. Ländlich gekleidete Touristen schlenderten an dessen Ufer entlang, als Evan durch das Dorf fuhr. Sie trugen Tweed und englische Brogue-Schuhe mit Lochmustern, und viele von ihnen sahen mit ihren um den Kopf geschlungenen Schals und den schmucklosen Regenmänteln aus wie die Queen während ihrer Besuche auf Schloss Balmoral.
Evan entdeckte das Pias Coed auf der anderen Flussseite, als er die schmale Steinbrücke überquerte, unter welcher der Wasserfall hindurchtoste. Es ähnelte eher einem Landhaus - elegantes, schwarzweißes Fachwerk, etwas zurückgesetzt und durch große Lärchen von der Straße abgeschirmt.
Justin und Evan sprangen aus dem Wagen, sobald sie gehalten hatten. Evan war mit einem Gefühl der Dringlichkeit über den Berg gefahren, das nun auch Justin erfasst hatte.
»Christine Danvers?« Die junge Rothaarige an der Rezeption betrachtete sie interessiert, als Evan ihr seinen Ausweis hinhielt, und klimperte hoffnungsvoll mit den Wimpern. »Eine Sekunde.« Sie blätterte das Anmeldungsbuch durch. »Zimmer einundzwanzig. Ich glaube, sie ist noch oben. Ihr Schlüssel hängt nicht am Brett.«
Es gab keinen Aufzug, und ihre Schritte hallten auf den blanken, schmalen Treppenstufen.
»Ja?«, antwortete eine vorsichtige Stimme auf ihr Klopfen, und die Tür wurde geöffnet.
»Oh.« Sie trat einen Schritt zurück, für einen Moment sprachlos. Dann fasste sie sich wieder. »Was wollen Sie?«
Evan antwortete: »Erinnern Sie sich an mich, Miss? Ich bin der Polizist, der Sie aus dem Wasser gezogen hat.«
»Ja, aber ich dachte, mit dem Auto sei alles geklärt.« Sie war sichtlich nervös und schaute an Evan
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