Tod für Don Juan
wurde dieses Schweigen, diese Reglosigkeit immer unheimlicher.
«Tasse Tee?»
«Nee. Das heißt ja. Ja, bitte.»
«Milch und Zucker?»
Das aber schien Downes nicht
mehr gehört zu haben. Dixon nickte dem Constable an der Tür zu, der sich mit
dieser lückenhaften Bestellung auf den Weg zur Kantine machte.
Im Swan Hotel in
Stratford hatte Mrs. Roscoe soeben ihr Abendessen beendet, ein Bohnengericht
von einer für die überzeugte Vegetarierin geradezu herzerquickenden Fadheit.
Sie schrieb unverzüglich ein paar anerkennende Zeilen und bat den Ober, sie
sofort dem Küchenchef persönlich zu übermitteln.
Zur gleichen Zeit (es war jetzt
neun Uhr abends) saß Eddie Stratton auf dem einzigen Stuhl eines kleinen
Zimmers im dritten Stock eines Hotels nördlich des Russell Square. Die
Ausstattung war mehr als dürftig: Waschbecken mit Sprung, ein winziges Stück
Seife, ein nicht mehr ganz weißes Handtuch. Immerhin schien das Bett frisch
bezogen zu sein und fühlte sich einigermaßen bequem an, die Toilette war nach
Auskunft der Wirtin nur ein paar Türen weiter, das Bad eine Etage tiefer und
das Fernsehzimmer neben der Rezeption. Als Lektüre fand sich eine Gideonbibel
auf dem Nachttisch, daneben lag ein Formular, das den Einsender zur Teilnahme
an einer Auslosung berechtigte, bei der er eine Eintrittskarte zum
nächstjährigen Golfturnier gewinnen konnte. Stratton nutzte weder die eine noch
die andere Möglichkeit.
Er kam gerade vom
amerikanischen Konsulat, wo eine hübsche, mitfühlende Landsmännin aus North
Carolina ihm nahegebracht hatte, welche betrüblichen, aber leider notwendigen
Formalitäten zu beachten sind, wenn ein amerikanischer Staatsbürger in England
das Zeitliche segnet, und welche Kosten entstehen, wenn man genötigt ist, eine
Leiche über den großen Teich transportieren zu lassen. Während er auf das
verschlungene Blumenmuster des verschossenen grünen Teppichs starrte, gedachte
er mit leiser Trauer seiner Laura, die nur zwei Jahre seine Frau gewesen war.
Sie waren, soweit das bei einer hauptsächlich auf Zweckmäßigkeit und Versorgung
ausgerichteten Verbindung möglich war, durchaus glücklich miteinander gewesen,
und er würde sich immer mit nachsichtiger Zuneigung an ihre ziemlich laute
Stimme und ihre schrille Kriegsbemalung erinnern — und natürlich an den
beklagenswerten Zustand ihrer Füße... Versonnen nickte er vor sich hin, dann
hob er den Kopf und sah zu dem mit Tüllgardinen verhängten Fenster hinüber —
wie ein Vogel, der plötzlich merkt, daß die Käfigtür offensteht. Ein heimlicher
Beobachter in dem kleinen Zimmer hätte gesehen, daß in diesem Moment um Eddies
welke, leicht bläuliche Lippen ein leises Lächeln lag.
Kurz nach neun brachte ein
Constable vom Bahnhof einen kleinen braunen Umschlag mit. Morse nahm ihn
erfreut entgegen und schenkte Lewis ein breites Lächeln, sagte aber nichts. Er
riß den Umschlag auf und sah kommentarlos hinein. Dann drückte er, noch immer
lächelnd, Lewis den Umschlag in die Hand.
«Halten Sie mir die Daumen.
Falls ich Sie brauche, melde ich mich.»
45
Mag
sein, daß zu viel Fragen kränkend wirkt.
(Dante, Purgatorio)
Der Chief Inspector ersparte
Cedric Downes wenigstens die Farce einer leutseligen Begrüßung, ja er
verzichtete sogar auf den üblichen Spruch, er hoffe, daß der Häftling gut
untergebracht sei und anständig behandelt werde. Der Häftling, fand er, wirkte
verwirrt und mutlos. Man hatte ihn offiziell davon in Kenntnis gesetzt, daß er
das Recht hatte, das Gespräch im Beisein eines Anwalts zu führen,
erstaunlicherweise aber hatte er keinen Gebrauch von diesem Angebot gemacht.
Eine Tasse Tee (mit Zucker) stand unberührt rechts neben ihm. Verdrießlich sah
er auf, als Morse Dixons Platz einnahm und einen weiteren Stuhl für eine junge,
sehr blonde Polizistin heranrückte, die neben anderen Vorzügen für sich in
Anspruch nehmen konnte, daß sie als einzige im Polizeirevier von St. Aldate’s
130 Worte pro Minute stenografieren konnte. Bei Downes allerdings konnte sie
diese olympiareife Leistung nicht erbringen, denn zumindest in der ersten
Hälfte des Verhörs setzte Downes seine Worte langsam und bedächtig wie ein
schlafsüchtiger Zombie. Morse wartete geduldig. Langfristig war das immer das
beste. Als Downes sich endlich dazu bequemte, den Mund aufzumachen, fragte er
zuallererst nach seiner Frau.
«Hat jemand sie abgeholt,
Inspector? Von dem nächsten Zug, meine
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