Tod für Don Juan
Downes’ schöner und zweifellos sexuell äußerst anregender Frau Lucy ins
Bett zu steigen. Die Affäre dauerte vermutlich noch nicht lange, hatte wohl
erst angefangen, als Kemps Beziehung zu der ständig alkoholisierten Sheila
allmählich an Reiz verlor. Wo aber sollte das Pärchen sich treffen? In Frage
kam nur das Haus von Downes. Kemp hatte im College kein eigenes Büro, und bei
ihm ging es auch nicht, da seine behinderte Frau ständig ans Haus gefesselt
war. Der bewußte Vormittag also bot eine fast einmalige Chance — und sollte
Kemp wohl auch ein wenig über die herbe Enttäuschung wegen des
Wolvercote-Kleinods hinwegtrösten — war doch das kostbare Stück schon zum
Greifen nah gewesen, standen doch die öffentliche Präsentation,
Bilddokumentationen, Artikel in den einschlägigen Fachzeitschriften kurz bevor.
Er selbst hatte das Kleinod aufgespürt und sich mächtig ins Zeug gelegt, um es
seinem Museum zu sichern. Was Wunder, daß er, nachdem all diese schönen
Aussichten zunichte gemacht worden waren, keine große Lust mehr verspürte, den
amerikanischen Senioren Artigkeiten zu erweisen. Was Wunder, daß er den
Lockungen der liebreizenden Lucy Downes erlag. Die Täuschung war geschickt eingefädelt.
Wenn er den Drei-Uhr-Termin nicht einhalten konnte, lastete die Aufgabe der
Touristenbetreuung ganz auf Sheila Williams und Cedric Downes, die beide Kemps
Aufgaben zusätzlich übernehmen mußten. Kemp wäre übrigens nie darauf gekommen,
daß einige Mitglieder der Reisegruppe die kurzfristige Umorganisation zu
verschiedenen außerplanmäßigen Abstechern nützen würden — von der Besichtigung
von Dampflokomotiven bis zum Aufspüren verlorener Töchter. All diese Dinge
haben uns auf eine falsche Spur geführt, Lewis.
Doch dann ging bei Kemp einiges
schief. Downes’ Schwerhörigkeit ist noch nicht allzu ausgeprägt, aber er hat
gelegentlich Schwierigkeiten bei bestimmten Hintergrundgeräuschen und gezielten
Fragen seiner Gesprächspartner. Wie wir von Lucy Downes wissen, ist die Angst
eines Schwerhörigen nicht so sehr, die Antwort auf eine ihm gestellte Frage
nicht geben zu können, als die gestellte Frage nicht zu verstehen. Es gibt
Zeugen dafür, daß gegen Mittag Downes’ Hörgerät streikte, und weil er sein
Ersatzgerät nicht bei sich hatte, beschloß er, heimzufahren und es zu holen. Er
wurde gesehen, wie er über die St. Giles’ in Richtung North Oxford radelte. Die
Abfolge der Ereignisse, nachdem er den Schlüssel in das Sicherheitsschloß
gesteckt und leise die Tür geöffnet hatte, läßt sich leicht erraten. Möglich,
daß ein sechster Sinn ihm die Anwesenheit eines Fremden im Haus verriet;
wahrscheinlicher allerdings ist, daß er einen Gegenstand sah — einen Mantel,
einen Hut —, der einem Bekannten gehörte. Er griff sich einen Spazierstock —
oder irgendeinen anderen Gegenstand — aus der Flurgarderobe, stürmte die Treppe
hoch und fand seine Frau und Kemp — beide splitterfasernackt — in medio
coitu. Rasend vor Haß und Eifersucht schlug er mit dem Stock auf Kemp ein,
während dieser versuchte, sich aus den Bettüchern zu winden, aufzustehen und
sich zur Wehr zu setzen — aber so weit kam er nicht mehr. Er taumelte, stürzte
und stieß mit dem Kopf an den Pfosten des Doppelbettes oder an die scharfe
Kante des Kamins. Er hatte — medizinisch eindeutig nachgewiesen! — eine dünne
Schädeldecke. Einen Augenblick bleibt es unheimlich still. Es fließt viel Blut.
Entsetzt und mit weitaufgerissenen Augen sieht die treulose Ehefrau auf ihren
Liebhaber herunter. Sie begreift, daß er tot ist. Manchmal erweist es sich als
überraschend schwierig, einen Menschen zu töten, dann wieder, wie in diesem
Fall, ist eine solche Tat im Nu geschehen.
Und Downes selbst? An die
Stelle von Haß und Eifersucht tritt sogleich ein primitiveres Gefühl, der
Selbsterhaltungstrieb. Nur ruhig Blut, denkt er, noch kann alles gutgehen. Denn
schlagartig wird ihm klar, daß er ein vortreffliches, ja ein perfektes Alibi
hat, das er ebenjenem Mann verdankt, den er gerade umgebracht hat. Welche
Ironie des Schicksals! Kemp hatte Ashenden und Ashenden hatte dann allen
anderen gesagt, daß er (Kemp) erst um drei aus London zurückkommen würde.
Demnach kann Downes vor dieser Zeit unmöglich Kemp umgebracht haben. Er nimmt
sich vor (und hat sich auch daran gehalten), den ganzen Nachmittag und frühen
Abend über — bis auf gelegentliche Abstecher auf ein stilles Örtchen — stets in
Sichtweite der Gruppe zu
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