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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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von ihrer lange
vertretenen These überzeugt, daß Komödien eigentlich nicht Willie Shakespeares
Stärke waren. Sie hatte gerade den Fernseher angestellt, um noch eine
Spätausgabe der Nachrichten zu hören, als es leise klopfte und Shirley Brown
hereinkam. Irgend etwas habe sie gestochen, und sie wollte fragen, ob Janet ihr
helfen könne. Das heißt, sie wußte natürlich, daß Janet ihr würde helfen
können. Die zierliche alte Dame kramte in ihrer (von den Mitreisenden
nachsichtig belächelten) geräumigen Handtasche herum, aus deren Tiefen sie
bereits ein Pfadfindermesser, einen silbernen Löffel und ein Reisebügeleisen
zutage gefördert hatte. Jetzt holte sie zwei Tuben Salbe hervor. Von jeder ein
bißchen könne nicht schaden, da Shirley ja nicht wußte, ob der stechende
Plagegeist eine Wespe, Biene, Zecke, ein Floh oder ein Moskito gewesen war.
    Nach der medizinischen
Versorgung saßen sie noch fünf Minuten auf dem Bett zusammen und plauderten. Ob
Janet aufgefallen sei, wie still Mr. Ashenden den ganzen Tag gewesen war,
wollte Shirley wissen. Gar nicht wie sonst. Ja, das war Janet in der Tat
aufgefallen. Schließlich war er ja Reiseleiter und wurde fürs Reden bezahlt! Im
übrigen, setzte Janet hinzu, könne sie sich denken, was ihn bedrückte, er habe
nämlich in der Hotelhalle einen Brief geschrieben. Und als er den Umschlag aus
der Hand gelegt habe, um die Marke draufzukleben — «Verkehrt herum, Shirley!»
—, war nun mal nicht zu übersehen gewesen, an wen er gerichtet war.
    Plötzlich — vielleicht zum
ersten Mal — regte sich in Shirley Brown so etwas wie schwesterliches Mitgefühl
für die einsame alte Dame, die mit so besonders wachen Sinnen registrierte, was
um sie her vorging.
    «Du merkst doch auch alles,
Janet», sagte sie nicht unfreundlich.
    «Fast alles», erwiderte Mrs.
Roscoe mit einem leisen, selbstzufriedenen Lächeln.

47
     
    Manche
Indizienbeweise sind schlagend — eine Forelle in der Milch beispielsweise. (Henry
Thoreau, unveröffentlichtes Manuskript)
     
    «Können Sie sich nicht
entschließen, uns weitere Zeit und Mühe zu sparen, Sir? Oder wollen Sie
unbedingt dem Steuerzahler noch mehr Kosten aufbürden?»
    Downes fuhr sich mit der Zunge
über die trockenen Lippen. «Ich weiß nicht, was das alles soll. Bin ich denn
verrückt geworden?»
    «Keineswegs. Sie sind völlig
normal —» begann Morse, aber Downes war jetzt nicht mehr zu bremsen.
    «Und da Sie so besorgt um die
Lasten des Steuerzahlers sind, sollten Sie sich vielleicht lieber um die
dringende Angelegenheit kümmern, von der Ihr Sergeant gerade gesprochen hat.»
    «Das haben Sie gehört?» fragte
Morse scharf.
    «Er spricht deutlicher als
Sie.»
    «Selbst wenn er flüstert?»
fragte Morse verblüfft und schien vorübergehend die Kritik an seiner Aussprache
wichtiger zu nehmen als seine Vernehmung.
    «Sie wollten sich gerade über
meinen Geisteszustand äußern, Inspector», sagte Downes.
    PC Wright warf dem links neben
ihr sitzenden Chief Inspector einen raschen Blick zu. Sie arbeitete zum ersten
Mal für diese lebende Legende und war bisher fast ein bißchen enttäuscht. Doch
allmählich kam Morse offenbar in Fahrt, und sie schrieb schnell und sicher mit.
    «Jawohl, Sie sind völlig
normal, bemerkenswert normal sogar. So normal, daß Sie einen Mord vertuschen
und Ihre Frau mit dem belastenden Material zum Bahnhof King’s Cross schicken
können mit der Anweisung, es dort in einem Schließfach zu deponieren — »
    «Jetzt habe ich Sie wohl doch
nicht richtig verstanden...»
    «Nicht schon wieder, bitte!
Allmählich hat sich diese Ausflucht nämlich abgenutzt. Mit dieser Sache haben
Sie sich schon herausgeredet, als Kemp anrief — und zwar aus Ihrem eigenen
Haus! —, und noch einmal, als Sie heute abend, von Paddington kommend, aus
dem Zug stiegen und vorgeblich auf Mrs. Downes warteten —»
    PC Wright hatte reichlich Zeit,
das eine Wort, das Downes hervorstieß, in Langschrift festzuhalten. Sie hätte
es, wenn sie gewollt hätte, sogar noch mit Schnörkeln und Schattierungen
versehen können.
    «STOP!» stand auf ihrem Block.
    Morse stoppte seinen Redefluß
etwa dreißig Sekunden lang. Nur nichts übereilen. Dann wiederholte er:
    «Sie haben Ihre Frau mit Kemps
Sachen nach London geschickt—»
    «Meine Frau... Lucy... Was soll
das heißen?»
    «Das hat doch alles keinen
Zweck, Sir.» Der Ton war jetzt, fand PC Wright, durchaus beeindruckend. Fest,
ruhig, überlegen — dabei aber sanft, fast verständnisvoll.

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