Tod für Don Juan
haben, die Ärzte wollten Sie erst wieder ein bißchen auf die
Beine bringen.»
«Ich will aber Cedric sehen»,
jammerte sie. Ihre Lippen zuckten, und in ihren Augen standen Tränen. Der brave
Lewis legte eine Hand auf den schneeweißen Oberarmgips.
«Bald. Sehr bald. Wie gesagt—»
«Warum dürfen Sie zu mir und er
nicht?»
«Das ist so üblich bei einem
Unfall. Wir müssen unsere Berichte schreiben und — »
«Aber die Polizei war doch
schon da.»
«Und was haben Sie den Kollegen
erzählt?»
«Daß es meine Schuld war, der
Fahrer konnte nichts dafür.» Sie sah bittend zu Lewis auf.
«Wiederholen Sie doch bitte
möglichst wörtlich, was Sie gesagt haben, Mrs. Downes.»
«Aber da gab es doch gar nichts
zu sagen! Es war meine Schuld — was wollen Sie denn noch von mir hören?»
«Nur, wie sich die Sache
abgespielt —»
«Ich hatte es eilig, weil ich
zur U-Bahn wollte, und in der Rush-hour... Ich wollte meinen Zug nicht
verpassen, Cedrics wegen. Cedric wartete nämlich —»
«In Oxford? Er wartete in
Oxford auf Sie?»
«Ja, natürlich. Ich habe mich
an ein paar Leuten vorbeigedrängt, die vor mir standen, und bin auf die
Fahrbahn... und der Fahrer... Er hätte gar nichts anderes machen können. Es war
meine Schuld, wirklich. Er hat gebremst, und... Eigentlich war der Koffer
schuld. Ohne den Koffer —»
«Sie meinen, der Wagen hat
eigentlich den Koffer angefahren? Er hat zuerst den Koffer getroffen?»
Lucy nickte. «Er hat den Stoß
abgefangen, und dann bin ich gegen einen Papierkorb geprallt und —» Sie hob die
rechte Hand und deutete unbestimmt auf ihre linke Körperseite.
«Sie hatten also noch immer den
Koffer bei sich? Als der Wagen Sie anfuhr, meine ich...»
Lucy sah ihn ein wenig ratlos
an, als habe sie seine letzte Frage nicht ganz verstanden. «Ich weiß nicht
recht... wie meinten Sie?»
«Ich wollte nur wissen, ob Sie
den Koffer bei sich hatten.»
«Ja, natürlich.»
«Und... wissen Sie, wo er jetzt
ist, Mrs. Downes?»
«Liegt er nicht unter meinem
Bett, Sergeant?»
Morse nahm den Anruf abends
kurz nach elf Uhr entgegen.
«Also was ich gerade erlebt
habe, das raten Sie nie, Sir!»
«Ihr Bankkonto sollten Sie
darauf nicht verwetten, Lewis.»
«Ihr Zustand ist nicht ernst,
Sir, das mit der Intensivstation haben die Kollegen mißverstanden.»
Morse schwieg.
«Das freut Sie doch, Sir?»
«Ich ergötze mich nicht am Tod,
Lewis, und als ganz besonders bedrückend empfinde ich die Beliebigkeit eines
Unfalls — jenen willkürlichen Zusammenstoß von Atomen im Vakuum, wie Epikur zu
sagen pflegte.»
«Abgespannt, Sir?»
«Ja.»
«Wußten Sie von Anfang an, daß
es ein Unfall war?»
«Nein, nicht von Anfang an.»
«Tut mir leid, aber da komme
ich mal wieder nicht mit...»
«Sie wollten mir erzählen, was
Sie erlebt haben und was ich nie raten würde, Lewis.»
«Der Koffer, Sir, mit dem Mrs.
Downes nach London gefahren ist...»
«Mit dem wir, um genau zu sein,
Mrs. Downes in ein Taxi steigen sahen...».
«Aber sie ist damit tatsächlich
nach London gefahren. Und Sie raten nie, was drin war.»
«Vorhänge, Lewis? Vorhänge mit
Automatikfaltenband? Erinnern Sie mich, daß ich Ihnen das mit dem Faltenband
gelegentlich erkläre. Mrs. Lewis sieht es gewiß nicht ungern, wenn Sie etwas
mehr Interesse für Textilschmuck und Fensterdekoration an den Tag legen.»
«Was soll ich wegen des
Gepäckschließfachschlüssels unternehmen, Sir?»
«Was reden Sie da... Wer hat je
etwas von einem Gepäckschließfachschlüssel gesagt, Lewis?»
Nachdem Lewis aufgelegt hatte,
blieb Morse an seinem Schreibtisch sitzen und rauchte drei Dunhill
International hintereinarider. Es war schon ein Schock gewesen, als Cedric
Downes ihn aufgefordert hatte, er möge doch zum Golfclub North Oxford fahren
und notfalls den Verwalter aus dem Bett holen, und Lewis’ Anruf hatte der
Cedric/Lucy-Theorie endgültig den Garaus gemacht. Doch das Hirn des Chief
Inspector war nie produktiver, als wenn sich scheinbar unüberwindliche
Hindernisse vor ihm auftürmten, und es fiel ihm ausgesprochen schwer, sich von
seiner schönen Hypothese zu trennen. Durch die vorhanglosen Fenster sah er auf
den hellerleuchteten Parkplatz hinaus, auf dem außer seinem roten Jaguar nur
noch zwei weiße Streifenwagen standen. Eigentlich müßte er jetzt Schluß machen
und schlafen gehen. In zehn Minuten, um diese Zeit vielleicht sogar in weniger
als zehn Minuten, konnte er zu Hause sein. Sehr praktisch, so ein Wagen,
Weitere Kostenlose Bücher