Tod für Don Juan
nicht, daß —»
«Ich wollte was trinken.
Deshalb bin ich hier.»
«Und Sie haben ihm gesagt — »
«—er soll verduften.»
Morse sah sie an: Schwarzes,
nicht ganz knielanges Kleid mit Spaghettiträgern, schwarze Strümpfe an den
erstaunlich schlanken Beinen, rote Schuhe mit sehr hohen Absätzen, so daß sie
Morse um zwei Zentimeter überragte, als er aufstand und ihr seinen Platz anbot.
Er lächelte, sein Blick war herzlich und verständnisvoll.
«Sie sehen richtig glücklich
aus», stellte sie fest.
Doch im Grunde seines Herzens
war Morse alles andere als glücklich. Seit einer Stunde malte ihm sein
zunehmend alkoholisiertes Hirn aus, welche Folgen es hat, einen Verbrecher vor
Gericht zu stellen, dafür zu sorgen, daß er für sein Fehlverhalten (oder sollte
man sagen für sein Verbrechen) bestraft wurde und ihn dann — vielleicht
lebenslang — in ein Gefängnis sperren zu lassen, wo er (jawohl, es handelte
sich um einen Er) nicht mal mehr aufs Klo würde gehen können, ohne daß jemand
diese intime Tätigkeit überwachte, ohne daß jemand ihn roch, ihn demütigte dort
draußen in dem kleinen Kabuff, wo er die kläglichen Reste seiner Würde, seiner
Selbstachtung zu wahren versuchte.
«Bin ich aber nicht», sagte
Morse.
«Warum nicht?»
«Gin und Tonic?»
«Wie haben Sie denn das erraten?»
«Ich bin eben ein Genie.»
«In manchen Sachen bin ich auch
ganz gut.»
«So?»
«Soll ich Sie heute nacht
glücklich machen?» Ihre Stimme klang plötzlich nüchterner, klarer — und
irgendwie sanfter.
Morse musterte das
melancholische Gesicht unter dem hochfrisierten Haar, den üppigen und sichtlich
von keinem BH gehaltenen Busen, den schwarzen Strumpfrand zwischen Knie und
Schenkel des rechten Beins, das sie über das linke geschlagen hatte. Er war
bereit, und das schien sie zu spüren.
«Ich habe ein sehr, sehr
bequemes Bett», flüsterte sie ihm ins linke Ohr.
«Ich auch», sagte Morse fast
abwehrend.
«Über so was sollten wir uns
nicht streiten.» Sheila griff lächelnd nach ihrem Glas. «Trinkst du nichts
mehr?»
Morse schüttelte den Kopf. «Weckt
die Lust, aber hemmt die Leistung.»
«Du bist der erste, der das
korrekt zitiert hat.»
Vielleicht hätte sie das nicht
sagen sollen, denn die Folgerungen weckten in Morse plötzlich eine ganz
unvernünftige Eifersucht. Doch als sie sich dann besitzergreifend bei ihm
einhakte, ihren Mantel von der Garderobe holte und Morse zum Taxistand an der
St. Giles’ lotste, war die Lust wieder da — und würde bleiben.
Zum ersten Mal seit vielen
Tagen war Sheila Williams unheimlich glücklich und blieb es bis in die frühen Morgenstunden,
als Morse sie verließ. Langsam ging er den kurzen Weg zurück zu seiner
Junggesellenwohnung in der Banbury Road, barhäuptig in dem strömenden Regen,
der schon vor einer Stunde schräg gegen die Scheiben von Sheila Williams’
Schlafzimmer geschlagen hatte.
52
Allein
das starre Skelett der Gewohnheit hält die menschliche Gestalt aufrecht. (Virginia
Woolf, Mrs. Dalloway)
Morse und Lewis trafen am
nächsten Morgen um 10.35 im Chesterton Hotel in Bath ein. Morse hatte
unbedingt die als «landschaftlich reizvoll» gekennzeichnete Strecke über
Cirencester fahren wollen, doch die landschaftlichen Reize hielten sich in
Grenzen. Die goldenen Tage waren vorbei, naß und reizlos lagen die kahlen
Leider, auf denen nur noch die Schafe Nachlese hielten, unter dem grauen
Himmel. Sie sprachen wenig, erst eine Stunde hinter Oxford setzte Morse, der,
wie Lewis fand, noch ziemlich angeschlagen wirkte, seinen Sergeant über die
letzten Einzelheiten ins Bild.
«Ziemlich ungewöhnlicher Fall,
was?» stellte Lewis fest.
«Finden Sie?»
«Und ob! So ungewöhnlich wie —»
Doch der passende Vergleich wollte ihm nicht einfallen.
«—wie ein beleibter
Briefträger?» schlug Morse vor.
«Also unser Briefträger wiegt
gut und gern seine zwei Zentner...»
Morse nahm einen tiefen
Lungenzug, machte die Augen halb zu, schüttelte den Kopf und verfiel in das für
ihn bei Autofahrten übliche Schweigen.
In dem Streifenwagen hinter
ihnen saß Sergeant Dixon neben seinem Fahrer, PC Watson, der das alles ziemlich
aufregend fand.
«Ganz schön schnell, der
junge», stellte Watson fest.
«Aber nur beim Autofahren»,
konterte Dixon, was Watson ausgesprochen gemein fand. Das war inzwischen auch
Dixon aufgegangen. Vielleicht hätte er doch lieber den Mund halten sollen...
Fünfundvierzig Minuten vorher
hatte Frau Dr. Barbara
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