Tod für Don Juan
fesselnden
Ausführungen auch noch Fragen zu beantworten... erst dann konnte Dr. Moule sich
die beiden Herren in der letzten Reihe näher ansehen. Der eine, der dem Ausgang
am nächsten saß, war untersetzt, hatte ein etwas schläfriges, aber freundliches
Gesicht und kurzgeschnittenes, schon ziemlich graues Haar. Der andere war
schlanker, sein Haar war lichter und sein Gesicht blaß. Er war es, der jetzt
die erste — und auch die letzte — Frage stellte. Fast alle drehten sich nach
ihm um, als er mit gebildeter, angenehmer und sehr englischer Stimme sagte:
«Ich habe in meiner Jugend
klassische Sprachen studiert und interessiere mich seit jeher sehr für die
Werke römischer Dichter und Historiker. Für römische Architektur allerdings
habe ich nie große Begeisterung aufbringen können. Der Anblick eines römischen
Backsteins hat mich immer kalt gelassen. Eiskalt. Ich würde deshalb sehr gern
erfahren, warum Sie sich gerade auf dieses Thema spezialisiert haben...»
Die Frage war Musik in Barbaras
Ohren, doch da war der Fragesteller schon aufgestanden und fuhr fort:
«Ihre Antwort auf diese und
ähnliche Fragen würde, wie gesagt, mich und sicher auch die übrigen Anwesenden
brennend interessieren. Nur müssen wir leider im Moment darauf verzichten, uns
diese Freude zu machen.»
Langsam schritt er durch den
Mittelgang bis zu dem Diaprojektor. Dort blieb er stehen, wandte sich um und
sagte (zu ihr? zu ihren Zuhörern?):
«Ich bedaure diese Unterbrechung.
Doch die Anwesenden wissen, wer ich bin... wer wir sind. Und ich muß Sie leider
bitten, die nächste halbe Stunde Lewis und mir zu überlassen.»
Frau Dr. Barbara Moule verbiß
sich ein Fächeln. Sie hatte die literarische Anspielung sofort verstanden und
genoß die wenigen Sekunden, in denen der Blick der strahlendblauen Augen auf
ihr ruhte.
Es war Ashenden, der hinaufging
und an die Tür von Zimmer 46 klopfte.
«Aber hat Sam Ihnen nicht
gesagt... Ich habe Kopfschmerzen.»
«Ich weiß. Aber die Polizei,
Mrs. Kronquist — »
«Ja?»
«Die Polizei legt Wert darauf,
daß alle Mitglieder der Reisegruppe anwesend sind.»
«O mein Gott!»
53
Und
resümierte den Fall so gut, daß weit mehr herauskam, als die Zeugen je gesagt
hatten. (Lewis Carroll, The Barrister’s Dream)
Sie könne gern bleiben, wenn
sie es wünschte, hatte man der schönen, obwohl momentan etwas konsternierten
Frau Dr. Moule bedeutet, die daraufhin in der ersten Reihe Platz genommen
hatte. So wie er redet, dachte sie, könnte man ihn eher für einen Professor als
für einen Kriminalbeamten halten.
«Lassen Sie mich den Fall —
oder vielmehr die beiden Fälle — kurz umreißen. Aus Laura Strattons Zimmer im Randolph wurde ein Kunstgegenstand gestohlen. Gleichzeitig — das heißt unmittelbar
vor oder unmittelbar nach dem Diebstahl — starb Mrs. Stratton. Medizinisch
steht fest, daß sie einem Herzinfarkt erlag. Es gibt keinerlei Hinweise auf ein
Verbrechen — es sei denn, man geht davon aus, daß der Herzanfall durch den
Schock verursacht wurde, den sie erlitt, als sie mit ansehen mußte, wie jemand
ihr jenen Kunstgegenstand stahl, den sie auf einer langen Reise von Amerika
hierher gebracht hatte, um ihn dem Ashmolean Museum — oder genauer gesagt Dr.
Theodore Kemp für das Museum—zu überreichen. Ich habe versucht festzustellen —
was man mir hoffentlich nachsehen wird —, wem ein solcher Diebstahl nützen
könnte, und erfuhr von Mr. Brown» — einige Köpfe drehten sich in seine Richtung
—, «daß Mrs. Stratton sich zu ihrer Finanzlage immer ein wenig geheimnisvoll,
ja zweideutig geäußert hat. Infolgedessen mußte ich natürlich auch die
Möglichkeit ins Auge fassen, daß der bewußte Kunstgegenstand gar nicht von
Außenstehenden gestohlen worden war, sondern daß die Strattons ihn... sagen
wir... hatten verschwinden lassen. Er hatte Mrs. Strattons erstem Mann gehört,
und dieser hatte in seinem Testament den Wunsch geäußert, das Kleinod möge nach
England zurückkehren und auf Dauer zusammen mit seinem Gegenstück, der
Wolvercote-Schnalle, im Ashmolean ausgestellt werden. Als historisch
bedeutender Kunstschatz war der Wolvercote-Dorn natürlich unbezahlbar. Als ein
mit Edelsteinen besetztes Schmuckstück aber ließ sich sein Wert durchaus in
Pfund — oder auch in Dollar — ausdrücken und wurde von Mrs. Stratton in Höhe
von einer halben Million Dollar versichert. Die Bedingungen sind mir im
einzelnen noch nicht bekannt, doch es scheint so zu sein,
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