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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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worden, an welchem Punkt der Brücke der Dorn ins Wasser
geworfen worden war, und konnten deshalb ihren Einsatz präzise planen. Erst
schwammen sie langsam quer über den Fluß, dann drehten sie, kreuzten, tastend
und forschend, erneut die Strömung und arbeiteten sich allmählich flußabwärts
in ruhigere Gewässer vor.
    Nein, noch immer nichts.
    Der Dorn war nach seiner
Entdeckung im Jahre 1873 einem Schatzsucher in die Hände gefallen, der ihn ohne
viel Aufhebens bei einem Londoner Händler zu Geld gemacht hatte. Der wiederum hatte
ihn an einen amerikanischen Sammler verkauft, und so war er 1922 als Leihgabe
auf einer Ausstellung in Philadelphia aufgetaucht. Die Ausstellung war
fünfundsechzig Jahre danach der erste Anhaltspunkt für die Nachforschungen
Theodore Kemps vom Ashmolean gewesen, der nun kalt und steif in der
Leichenhalle des Radcliffe Infirmary lag. Jener Mann hingegen, der Chief
Inspector Morse so präzise angegeben hatte, wo er gestanden und in welchem
Winkel er den Dorn bei Wolvercote dem Fluß zurückgegeben hatte, saß
quicklebendig in dem verwirrend weiträumigen Gebäudekomplex des
Kennedy-Flughafens, flankiert von einem Mann, der derart massiv gebaut war, daß
Eddie Stratton sich unwillkürlich fragte, ob der eine Platz, der für ihn auf
der in vierzig Minuten startenden Maschine nach Heathrow gebucht war, ihm wohl
reichen würde. Und er fragte sich weiter, ob man diesen Mann wohl dazu bewegen
konnte, das metallene Armband aufzuschließen, das ihm das rechte Handgelenk
wundrieb. Denn hoch über dem Atlantik würde er, Eddie Stratton, sich bestimmt
weder als Aussteiger noch als Hijacker versuchen wollen.
     
     
     

55
     
    In
großen Dingen sollten wir uns weniger darum bemühen, Chancen zu schaffen, als
jene Chancen zu nutzen, die sich uns bieten. ( La Rochefoucauld, Maximen)
     
    Im Chesterton Hotel war
eigentlich längst Kaffeepause, doch das hatte offenbar bisher noch niemand
gemerkt.
    «Kemp wurde am Bahnhof in
Empfang genommen», fuhr Morse fort, «und erfuhr dort etwas — hier muß ich raten
—, was ihn dazu veranlaßte, mit der fraglichen Person in seine Wohnung in der
Water Eaton Road zu fahren. Vielleicht hatte man ihm gesagt, seine Frau sei
plötzlich krank geworden oder gar gestorben. Vielleicht war aber eine so
dramatische Ankündigung auch gar nicht vonnöten. In Kemps Wohnung kam es dann —
hier rate ich wieder — zu einer Auseinandersetzung, bei der Kemp einen Schlag
auf den Kopf bekam, ins Stolpern geriet, mit der rechten Schläfe an die Kante
des Kaminsimses stieß und starb. Manchen Mördern fällt es erstaunlich schwer,
ihre Opfer ins Jenseits zu befördern. Im Bezirk Thames Valley hatten wir mal
einen Fall, bei dem dieses traurige Geschäft nach dreiundzwanzig tiefen
Stichwunden noch nicht beendet war. Dann wieder kann es erschreckend einfach
sein, einem Mitmenschen das Leben zu nehmen. Eine leichte Berührung mit der
Stoßstange eines Autos etwa genügt, um einen Radfahrer zu Boden zu reißen, er
schlägt mit dem Kopf auf die Fahrbahn, und ein, zwei Sekunden später ist sein
Leben dahin. Kemp hatte eine dünne Schädeldecke, der Mord selbst war kein Problem
— die Leiche dafür um so mehr.
    Wenn der Mord, wie ich glaube,
gegen drei Uhr fünfundvierzig begangen wurde, stellt sich die Frage, warum
Kemps Frau Marion nichts unternommen hat, um ihn zu verhindern. Denn daß sie
die ganze Zeit im Haus war, steht fest. Vielleicht befriedigte es ihre
Rachsucht, nichts zu unternehmen; nach Ansicht von Sergeant Lewis war ihr Haß
auf Kemp fast ebenso stark wie der des Mörders. Meiner Meinung nach aber kommt
Marion Kemp für den Mord an ihrem Mann nicht in Frage, auf keinen Fall kann sie
ihn auch nur um einen Zentimeter vom Platz bewegt haben. Andererseits war Kemp
schlank und hatte einen leichten Knochenbau, über eine kleinere Entfernung
hätte jeder einigermaßen bewegliche Mensch — die meisten hier Anwesenden
beispielsweise — die Leiche durchaus transportieren können. Sogar eine
sportliche oder auch nur leidlich kräftig gebaute Frau.»
    Diese Andeutung empfand die
zierliche alte Dame in der ersten Reihe offenkundig als eine Zumutung.
    «Ich bitte Sie, Inspector,
Verzeihung, Chief Inspector! Wenn Sie Ihren Zuhörern damit bedeuten wollten,
ich könnte eine Leiche transportiert haben... das ist doch grotesk! So etwas
brauche ich mir nicht gefallen zu lassen!»
    Morse lächelte ein wenig und
musterte die alte Dame, die nicht mehr als neunzig Pfund wiegen mochte.
    «

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