Tod im Albtal
Keats.« Ich hatte verbindlich gelächelt.
In den Jahren, in denen ich eine perfekte Person in einer perfekten Kulisse darstellte, hatte ich außer Vogue und Madame nicht viel gelesen. John Keats? Ich ließ mir regelmäßig die ersten drei Werke der Bestsellerlisten zuschicken, aber der Name sagte mir nichts. Ich schlug nach. »Ode to a Grecian Urn«. Eine Hommage an die vollkommene Schönheit in vierzehn Zeilen. Englische Romantik. England war modemäßig derzeit ein gutes Pflaster. Seit Herzogin Kate Topshop-Kleider trug, waren sie gesellschaftsfähig geworden. Auch ich hatte mir dort übers Internet eine reizende altrosa Bluse mit Rundhalsausschnitt und eine dazu passende Strickjacke bestellt.
Als ich Beates kleinen Kinderbuchladen verließ, war mir klar, dass kein Weg an Friederikes Ehemann vorbeiführte, denn er sollte eigentlich über Friederikes Interessen in der Zeit vor ihrem gewaltsamen Ende Bescheid wissen.
Wenn er sich allerdings etwa genauso für das Gefühlsleben seiner Frau interessierte wie mein Gatte für das meinige, war er als Informant nutzlos. Ich wusste mich in diesem Punkt in guter Gesellschaft, denn die meisten Ehen in unseren Kreisen glichen der meinen.
Die Männer machten ihre vorbestimmte Karriere, und ihre Frauen bekamen ein oder zwei dazu passende Kinder. Alle zusammen landeten bald im Tennisclub, wobei die Kinder im »Kid’s Racket Club« mit ihresgleichen Bälle ins Netz droschen. Den Frauen reichte das bald nicht mehr. Sie wollten »irgendwas tun« und endeten, da sie für Karriere zu alt oder zu verwöhnt waren, beim sozialen Engagement.
Sie nahmen dann ein schickes Ehrenamt an und lasen in Ettlingen-West, wo nach dem Krieg die Flüchtlinge angesiedelt worden waren und heute viele türkische und russische Familien lebten, benachteiligten Kindern Märchen vor oder verkauften im Januar beim Pfennigbasar in Karlsruhe Sachen, die sie selbst nicht mal im Keller dulden würden.
Die weniger Altruistischen eröffneten einen kleinen Laden, meist eine Boutique oder etwas Dekoratives, der gute Gefühle, aber keinen Gewinn abwarf. In Ettlingen war das Auffangbecken dafür der sogenannte »Dritte-Welt-Laden«, wo die Damen faire Schokolade und handgenähte bunte Stofftaschen verkauften, die sie ihrerseits allerdings niemals benutzen würden.
Wir alle hatten Freundinnen, die untereinander durch ein dichtes Netzwerk aus sozialer Stellung, Geld, Ansehen, Einfluss und schönen Häusern, etwa im teuren Karlsruher Märchenviertel oder am noblen Geigersberg in Durlach, verbunden waren. Zusammen mit uns kreisten sie um Lesungen, Konzerte, ums Theater oder gute Restaurants. Wir liebten Wellnesshotels, die durchaus auch im noblen Schwarzwald liegen konnten, und wir tauschten uns aus, wie sauber die Schwimmlandschaften und gesund die Frühstücksbüfetts waren. Unsere Pferde standen in den Ställen auf den Höhen des Albtals, unsere Kinder fuhren in die Disco nach Karlsruhe und nahmen schon mal ein Taxi nach Hause. Wir selbst machten eifrig in Kultur und reisten auf der krampfhaften Suche nach guten Events bis Mannheim, Stuttgart, Straßburg oder Pforzheim. Selbst wenn wir eigentlich keine Klassik mochten und nichts davon verstanden, war uns die Netrebko schon mal ein paar hundert Euro wert. Genau wie der Radio-Regenbogen-Award in Karlsruhe, wo Schuhbeck kochte. Für so eine Veranstaltung wurde mit neuem Abendkleid locker ein Tausender pro Paar fällig.
Bei der Kultur brauchte man allerdings gelegentlich die Männer, so wie die Merkel ihren Gatten nach Bayreuth mitschleppen musste. Tauchte man zu oft allein auf, gab es Gerede.
Also kamen die Ehemänner mit, unterdrückten aber stets ein Gähnen und schielten dauernd nach ihren auf Vibration gestellten Handys. Sie waren Richter, Anwälte, Ärzte, Professoren, Industrielle, Selbstständige oder Bankiers, ihre Welt waren Meetings, Dienstreisen, Firmenwagen, Projekte und Mindmaps.
Ich wusste, wie abgeschottet vom wirklichen Leben mein Alltag war, aber die raue Wirklichkeit hatte niemals einen Reiz für mich besessen. Ich lebte gern wie in einem kuscheligen rosafarbenen Wellnessdress, der mich ganz und gar umhüllte und wärmte, und sah überhaupt keinen Grund, diesen Zustand zu ändern.
Doch jetzt klaffte ein Riss in meiner perfekten Wohlstandsfassade, und der hieß Friederike. Wenn ich sie wenigstens nach ihrem Tod noch näher kennenlernen wollte, musste ich mit Horst Schmied sprechen. Da er frei herumlief, ging ich davon aus, dass ihm Friederikes
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