Tod im Albtal
Zeit nicht gegeben.
»Das trifft sich gut. Hier habe ich etwas ganz Reizendes. ›Béla, der musikalische Ratterich‹. Ein ungarisches Kinderbuch. Sonderpreis zwanzig Euro.«
Man muss wissen, wann man verloren hat. Eisig lächelnd entrichtete ich den Preis. Es würde sich schon irgendein Wohltätigkeitsbasar finden, der das Buch brauchen konnte.
Jetzt mussten allerdings Informationen als Gegenwert fließen, sonst hatte sich das gute Werk nicht bezahlt gemacht. Am besten schnell, bevor die nächste Kundin die Ladenglocke ertönen ließ.
Ettlingen war eine Stadt, in der es ziemlich viele gut situierte junge Familien gab. Es würde nicht lange dauern, bis eine nette Mutter auftauchte, und Beate würde um sie herumschwirren wie eine Motte.
»Schockierend, die Sache mit Friederike, nicht wahr?«, begann ich. »Habe dich gar nicht bei der Beerdigung gesehen.«
»Die leidigen Ladenöffnungszeiten! Nicht alle haben es so gut wie du und arbeiten mal zwischendurch und mal nicht. Betonung auf nicht , hm?« Falsches Lächeln. »Wenn allen deinen Kundinnen ein solches Schicksal droht, sterben sie bald aus.«
»Unter denen, die noch leben, besteht für meinen Service enormer Bedarf, Beate. Ich werde wohl auch bald mehr Stunden tätig werden müssen. Wie wäre es beispielsweise mit dir als Kundin?«
»Falsche Adresse«, wehrte sie ab. »Ich weiß seit Kinderzeiten, was mir steht.«
Diese Behauptung machte mich beinahe sprachlos. Hatte die Frau keine Spiegel zu Hause? Gab es niemanden, der ihr die Wahrheit sagte?
Doch es kam noch besser: »Nicht böse sein, Swentja, aber ich habe eigentlich auch Friederike abgeraten, dich dafür zu bezahlen, mit ihr teure Klamotten kaufen zu gehen.«
Ich lächelte weiterhin verbindlich. Blöde Kuh. Auch wenn ich zehn Enkelkinder bekäme, würde ich bei dir kein einziges Buch kaufen.
»Seit dem Tod ihrer Mutter war Friederike ziemlich durcheinander, aber sie war eigentlich immer schon ziemlich sensibel. Und schnell aus der Bahn zu werfen. Dann ist man leichte Beute. Ich denke nicht, dass sie sich diese teuren Spielereien leisten konnte, die sie eine Zeit lang im Kopf hatte …«
»So teuer ist es nun auch nicht, mit mir einkaufen zu gehen.«
»Damit meine ich nicht dich allein. Dieser Quatsch mit der Ahnenforschung, den sie eine Zeit lang betrieben hat.«
»Ach das!«, log ich. »Ja, sie hat mir davon berichtet. Das war wirklich …«
»Ja. Sie hatte sich ja schon seit Längerem eingebildet, ihr Vater wäre nicht ihr Vater gewesen. Ich habe der Polizei gegenüber eine Andeutung gemacht, doch sie haben sich nicht besonders dafür interessiert. Du weißt deshalb natürlich davon?« Ich wusste es nicht, aber das ging Beate nichts an.
»Tja. Wie ist sie denn eigentlich darauf gekommen? Das war mir nie richtig klar geworden.«
Eine Kundin betrat den Laden. An der Hand führte sie ein kleines Mädchen, das viel zu dick war. Kleine Mädchen sollten kein Doppelkinn haben. Dafür war immer noch Zeit, wenn sie als Witwen im Café König in Baden-Baden die berühmte Apfelreistorte gleich zweimal bestellten.
»Haben Sie etwas übers Ballett?«, erkundigte sich die Mama. »Meine Leah hier interessiert sich sehr dafür, und das ist meinem Mann und mir natürlich sehr recht. Leah mit – h .«
»Du entschuldigst mich?« Beate eilte zu einem Regal mit Büchern, auf deren Titelbildern es von Tutus und Spitzenschuhen wimmelte.
Das Kind – ob mit h oder ohne – sollte lieber erst mal eine Weile lang Äpfel und Möhren anstatt Hamburger essen, dachte ich. Dann denken wir ans Ballett. Wenn es eine Pirouette dreht, vibriert ja der Bühnenboden. Hoffentlich kam die Mutter nie auf die Idee, das Kind Elena vorzustellen. Elena würde alle Träume des Mädchens mit einem ihrer berühmten Blicke vernichten.
Elena hat mir einmal den Grund genannt, warum sie sich überhaupt mit mir traf und mich gelegentlich hinzubat, wenn sie eine handverlesene Damengesellschaft bei sich empfing oder in ein Restaurant einlud. Gerne hielt sie Hof beim Frühstück – ihrer erklärten Lieblingsmahlzeit – in dem feinen Sternerestaurant Hotel Villa Hammerschmiede im Pfinztal, wo sich übrigens auch unser Golfclub Johannesthal befand.
»Ich habe eine Schwäche für Schönheit, Swentja. Nenne es déformation professionnelle. Wie intelligent oder menschlich wertvoll du bist, weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen. Es reicht mir, dass du so schön und so vollkommen bist wie die griechische Urne von John
Weitere Kostenlose Bücher