Tod im Albtal
Tod nicht angelastet wurde, obwohl Ehemänner meistens auf Platz eins der Verdächtigenliste standen.
Allerdings gab es keine gesellschaftlichen Regeln für den Besuch bei dem Witwer einer Ermordeten, und das für einen solchen Besuch passende Outfit machte mir ebenfalls Kopfzerbrechen. Vielleicht würde ich die kurzärmelige, diagonal geschnittene Weste von Helmut Lang und dazu eine maskuline Marinehose von Mango tragen – eine sachliche und eher unterkühlte Kombination.
»Ich würde dich gerne treffen, Horst«, sagte ich am Telefon, nachdem es mir mit einigen Schwierigkeiten gelungen war, überhaupt zu ihm durchgestellt zu werden. Seine Sekretärin hatte in arrogantem Ton behauptet, er sei im Moment auch für Freunde nicht zu sprechen. Erst als ich vorgab, aufgrund eines kürzlich stattgefunden Gesprächs mit der Kriminalpolizei anzurufen, hatte sie mich widerwillig durchgestellt.
»Ein Treffen? Reden? Gerne, Swentja«, erwiderte er mit einem Tonfall, der mir nicht gefiel.
Trauer lag darin, ja sicher. Aber auch eine leise Erwartung auf etwas Neues. Auf einen anderen Lebensabschnitt. Hoffentlich nicht auf mich.
»Wenn du es darauf anlegst, würde ich für keinen von unseren Ehemännern die Hand ins Feuer legen«, bemerkte kürzlich meine Tennispartnerin Marion, die im Waldbronner Thermalbad eine Vitrine gemietet hatte und dort versuchte, ihre Seidenmalerei zu verkaufen. Dabei würde ich Marions Mann, einen fettleibigen Investmentbanker, der ihr herablassend die Seide und die Farben für ihr albernes Hobby spendierte, nicht mal mit Handschuhen anfassen.
»Horst, es geht um Friederike. Um ihren Tod. Um die Art ihres Todes. Das lässt mir keine Ruhe. Schließlich war ich dabei. Im weitesten Sinne.«
»Es ist ganz schrecklich«, erwiderte er ziemlich sachlich. »Treffen wir uns zum Espresso im Café Pierod an der Martinskirche. Ich komme so gegen vier aus Stuttgart zurück. Hoffentlich ist die A 5 nicht wieder so verstopft. Ich habe wirklich keine Lust, schon wieder über Freudenstadt auszuweichen und das ganze Murgtal bis Gernsbach hinter einem Laster mit Holzstangen herzufahren. Ständig bedroht von den Motorradfahrern, die wie die Irren überholen. Da müssen andere Lösungen her. Verkehrspolitische Lösungen. Stillstand in den Köpfen ist Stillstand auf der Straße, meine Damen und Herren.«
Er holte tief Luft.
»Ja, das mit meiner armen Frau ist wirklich schrecklich. Jeder in der Fraktion hat mich darauf angesprochen. Es wird Jahre dauern, bis ich mich davon erholt habe.«
In welcher Hinsicht?, dachte ich.
»Gut. Also sehen wir uns nachher.«
Horst wartete schon, als ich kam, denn ich kam aus Prinzip immer etwas zu spät. So viel, dass die Leute gerade noch erleichtert waren, dass ich überhaupt kam, und kurz bevor sie anfingen, sich zu ärgern.
Da es sehr warm war, hatte ich mich in letzter Minute gegen das geplante graue Outfit entschieden, verkörperte aber trotzdem pure Seriosität: ein handgeschneidertes hellbraunes Kostüm meiner Berliner Lieblingsdesignerin Stefanie Loos, ein Geheimtipp, enger Rock und Halbarmjacke aus dünnem Walkstoff, meine kleine hellbraune Gucci-Tasche, die ich schon viele Jahre besaß, und meine sandfarbenen Gianmarco-Di-Lorenzi-Schuhe. Ich sah aus wie eine schicke, aber Hände-weg-verheiratet!-Frau.
Für Horst hatte sich die Mühe mit meinem Aussehen nicht gelohnt, denn er hatte das langweilig glatte Aussehen der meisten Politiker seiner Partei: schlank, alert, gekleidet wie ein Bankangestellter mit Karriereträumen.
Friederike hatte im Grunde überhaupt nicht zu ihm gepasst. Ich könnte wetten, dass er sie bei einer eventuellen späteren Karriere sowieso gegen ein attraktiveres Modell ausgetauscht hätte.
Leider hatte ich das zu oft sehen müssen. Die Frauen witterten den sozialen Aufstieg ihrer Männer, schauten in den Spiegel, nahmen ab, stylten sich um und mussten feststellen, dass alle Bemühung vergebens gewesen war. Irgendeine nette Pressereferentin, sehr sexy, aber auch ein bisschen intellektuell, mit Perlensteckern in den Ohren und blondem Haar, das zu einem Zopf geschlungen war, war ins Rennen gegangen und würde es gewinnen.
Ich beugte mich vor. Sah Horst tief in die Augen. »Ich war bei der Beerdigung, aber da konnten wir leider nicht miteinander sprechen. Die Familie und eure engsten Freunde hatten Vorrang. Deshalb will ich dir jetzt noch einmal sagen, dass es mir leidtut. Vor allem, weil ich mich irgendwie verantwortlich fühle. Wäre ich nicht mit ihr
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