Tod im Albtal
gemacht hat. Meine Schwiegermutter war eine liebevolle und gutmütige Frau. Ich mochte sie gerne, auch wenn sie natürlich mit mir und meiner Welt wenig anfangen konnte. Deshalb war ich aber nicht arrogant. Irgendwo muss der Aufstieg einer Familie ja anfangen.«
Ich machte ein neutrales Gesicht zu dieser Behauptung.
Träum weiter, Horst! In meinen Kreisen wurden Politiker nicht unbedingt als Aufsteiger, sondern eher als Handlanger betrachtet. Unsere Männer bedienten sich ihrer. Schmierten sie. Luden sie ein. Wählten sie oder wählten sie auch nicht. Verloren sie ihr Mandat, wollte keiner mehr was mit ihnen zu tun haben. Ich auch nicht. Ihre Frauen wurden bald nicht mehr zum Ladies’ Lunch eingeladen, und das war’s. Manche mussten sich sogar einen Job suchen!
»Aber in ihrem Beruf war sie offenbar gut«, bemerkte ich. »Friederike hat mir das oft erzählt, und ihre Kundinnen waren offenbar auch zufrieden.«
»Das ja. Eine fähige Friseurin. Ist ja durchaus ehrenwert! Aber sie hatte natürlich nicht studiert.«
»Nein. Friseurin studiert man üblicherweise nicht.«
Er schwieg.
»Und was kam heraus – bei Friederikes Suche nach ihren Wurzeln?«
Horst sah sich um. Es hatte fast etwas Konspiratives. Er wisperte: »Diese Rehbügel … eine Lesbe, darauf schwöre ich, furchtbare Person, war der Meinung, es sei nach Lage der Dinge möglich, dass Friederikes Vater tatsächlich nicht ihr leiblicher Vater war. Doch das sei schwer zu beweisen, denn er war zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet und ist dadurch automatisch der Vater, außer die Mutter gibt etwas anderes an. Mancher uneheliche Vater hat in diesen Zeiten lange gezögert und sich dann doch noch zu seinem Kind bekannt. Damals musste man das Kind dann nachträglich annehmen. Meist folgte die Scheidung und ein Skandal. Heute ist ja alles viel lockerer.«
Sein Mund wurde schmal. Vielleicht fand der kleine Spießer es nicht so gut, dass alles lockerer war.
Er fuhr fort: »Ich war erleichtert, dass Friederike offenbar anders über die ganze Sache dachte, nachdem sie im Nachlass ihrer Mutter dieses Kästchen gefunden hatte. Du weißt, sie ist vor einiger Zeit gestorben. Wenn die gewusst hätte, dass Friederike ihr direkt ins Grab nachfolgt. Mein Gott.«
»Ein Kästchen? Was für ein Kästchen? Hast du es gesehen?«
»Ja. Eine unscheinbare Schatulle aus Lederimitat. Weinrot. Altmodisch. Ganz verschlissen. So etwas bekamen meine Schwestern früher zur Konfirmation geschenkt. Ich habe nur einen kurzen Blick hineingeworfen. Es sah so aus, als lägen Briefe und Papiere darin. Sie hatte die Schatulle zwar schon länger in ihrem Besitz, doch sie hat nicht mit mir darüber gesprochen. Na ja, ich hatte auch wenig Zeit. Du weißt ja, wie das ist.«
Und ob ich das wusste! Ich könnte eine Schatulle finden, die bewies, dass ich direkt von der Jungfrau Maria abstammte, und mein Mann müsste erst in seinem Kalender nachsehen, wann er sich mit der steuerrechtlichen Problematik der Sache beschäftigen könnte.
Kurz dachte ich an Hagen. Ohne dass es dafür einen Beweis gab, glaubte ich, dass er sich kümmern würde.
»Sie hat sie mir am Freitagabend vor der Party gezeigt. ›Da drin ist etwas Wichtiges, das mich betrifft, Horst‹, hat sie gesagt. ›Nicht jetzt‹, habe ich ihr geantwortet. Vielleicht war ich ein wenig ungeduldig.«
Er stöhnte und stützte den Kopf in die Hand. »Wir wollten dann am Wochenende darüber reden, denn ich zog mich gerade um, der Wein musste noch kalt gestellt werden, und die Caterer konnten jeden Moment kommen. Du weißt ja, wie hektisch es zugeht kurz vor einer Einladung.«
Nein, dachte ich. Nicht bei mir. Da ist alles geplant und vorbereitet. Nichts ist schlimmer als eine abgehetzte Gastgeberin.
»Du hast also keine Ahnung, was es mit dem Kästchen auf sich hatte?«
»Nein. Meinst du, es enthält wirklich Hinweise über ihre Familie? Jetzt fällt mir ein, sie hat kürzlich beim Frühstück gemurmelt: ›Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet er mein Vater ist!‹ Natürlich wollte ich wissen, wie sie das meint, doch sie hat nur abgewinkt. Ich habe nicht nachgehakt, weil ich zum Flieger nach Berlin musste.«
»Hat sie mit anderen Leuten über das Kästchen oder seinen Inhalt gesprochen? Was meinst du?«
Er spielte nervös mit seinem Kaffeelöffel. Es war klar, dass er endlich gehen wollte.
»Vielleicht hat sie es einer Freundin erzählt. Freundinnen waren ihr wichtig, denn wir hatten ja noch keine
Weitere Kostenlose Bücher