Tod im Albtal
schwieg. Er griff spielerisch nach meiner Hand.
»Also, das ist ein Mordmotiv aus englischen Häkelkrimis. Glauben Sie mir. Gemordet wird aus anderen Gründen.«
Ich zog meine Hand weg, und er lachte.
»Und aus welchen?«, fragte ich spitz. »Nur damit ich Bescheid weiß.«
»Geld, Geld und noch mal Geld. Meistens.«
»Gut, dann brauche ich nicht mehr weiterzusprechen. Ich glaube nicht an ein Geldmotiv in Friederikes Fall. Ihre Geldbörse wurde gestohlen und ein wertloses Handy. Doch einen Hunderter hat der Mörder übersehen, ihre Kreditkarte wurde niemals benutzt, und jemand, der sich wirklich auskennt, hätte auch ihren Ehering mitgenommen. Da hat sich Horst nämlich mal spendabel gezeigt. Quasi ein Werbegeschenk.«
»Das Geld und das Handy könnten für jemanden durchaus die Rettung gewesen sein. Hätte für den nächsten Schuss gereicht. Wissen Sie eigentlich, meine Schöne, dass es Leute gibt, die von den Pfandflaschen leben, die andere wegschmeißen? Aber ich will Ihnen Ihr kleines neues Hobby nicht nehmen. Gehen wir wieder zurück?«
Er wehrte meinen Protest mit einer Geste ab. Wir spazierten zum Schloss zurück. Von der Straßenbahnhaltestelle Ettlingen-Stadt aus schwärmten die heimkehrenden Kinder, die Schulen in Karlsruhe besuchten, sternförmig in alle Richtungen aus.
»Okay, okay. Ich glaube nicht daran, aber nehmen wir mal an, Sie hätten recht. In diesem unwahrscheinlichen Fall: Vergessen Sie nur niemals – egal, welche Deckel Sie von Töpfen mit irgendwelchen Familiengeheimnissen heben –, sollten Sie zufällig den Richtigen erwischen, kann es gefährlich werden. Jemand, der einmal gemordet hat, könnte die Hemmungen verloren haben und der Meinung sein, auf eine tote Swentja Tobler käme es nun auch nicht mehr an. Und das wäre doch wirklich schade für Ihren Mann, Ihre Tochter – und noch ein paar andere Leute.«
Geschmeichelt schenkte ich ihm eines meiner mittleren Flirtlächeln. Ich hatte es die ganze Zeit schon gespürt: Er war also auch nur ein Mann. Ein Steinchen hatte sich in meinen Schuh geschlichen. Ich humpelte, und wir setzten uns auf eine Bank vor dem Schloss. Ich zog den Schuh aus. Sein Blick glitt an meinem Bein entlang. Bis ganz nach oben. Mit einer trotzigen Bewegung zog ich den Schuh wieder an und versuchte ein lang vergessenes Gefühl der Erregung niederzukämpfen.
Vor uns stand der Narrenbrunnen. Durch ein »keckes Wort der Wahrheit« hatte der Sage nach der »feiertäglichste Narr« einen der zwölf Ratsherren vor dem Enthaupten gerettet. Sprach Hagen bei seinem Anblick die Wahrheit, würde er mich wirklich vermissen?
Hagen Hayden streckte sich und verschränkte die Arme hinter dem Nacken. Sah mit zusammengekniffenen Augen auf mich herunter und zerstörte meine Illusion.
»Oh, nicht zu früh lächeln, Verehrte. Denken Sie nicht an mich! Für die Geschäftswelt von Ettlingen bis Stuttgart, Baden-Baden eingeschlossen, wäre Ihr früher Tod ein Riesenverlust, oder? Ganz zu schweigen von Mannheim. Wer sollte sonst die Reihen der zweihundert Euro teuren T-Shirts lichten?«
»Sie sind unhöflich und ungehobelt. Nicht mein Niveau.«
Er beugte sich vor und berührte meinen Oberschenkel. Ich versuchte ihn wegzuziehen, doch er hielt mich plötzlich mit seinem anderen Bein fest. Die Erregung kam wieder. Mist! Der falsche Mann.
»Nein?«, sagte er mit seiner Stimme, die jetzt rau klang. Nach Whisky und Zigaretten. Ich fragte mich, wie es wäre, ihn zu küssen. Oder geküsst zu werden. Einfach so. Ungefragt. Riss mich los.
»Ja. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Schon ein Leben lang.«
»Ich meine meine Warnung ernst«, wiederholte er. »Stochern Sie nicht in Hornissennestern herum! Das sind bekanntlich Tierchen, die böse werden, wenn man sie reizt.«
* * *
Wenn Hagen sich einbildete, er könnte meinen Jagdeifer dämpfen, täuschte er sich. Trotzdem musste ich meine nächsten Schritte sorgfältig planen. Es galt, systematisch nachzudenken und, da ich Listen über alles liebte, alles säuberlich aufzuschreiben. Nicht zu Hause, denn da war ich zwar allein, sah mich aber ständig von all dem abgelenkt, was um mich herum nicht perfekt war. Am heimischen Esstisch würde ich eher eine Liste mit Aufgaben an meine Zugehfrau verfassen als eine, die Friederikes mögliche Väter aufführte und damit ihren Mörder einkreiste. Wohin also?
Baden-Baden käme in Frage. Das war für mich von jeher einer der Orte, an dem ich gut nachdenken konnte. Ich saß unter edlen Bäumen,
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