Tod im Albtal
lag.«
Ich runzelte die Stirn. Dieser sonst vermutlich eher ruhige Mann war wütend. Seit ich in Sachen Friederikes Tod unterwegs war, war er der Erste, der wirklich richtig wütend war. Wütend genug, um sie umzubringen, weil sich die Dinge nicht entwickelt hatten, wie er es sich vorgestellt hatte?
»Und wenn es ihm nicht egal war?«
»Ach was, Hauptsache, sie kompromittierte ihn nicht und er konnte in Ruhe seine Karriere verfolgen. Nur kein Skandal. Das ist überhaupt in diesem Land wieder das Wichtigste. Die Siebziger und Achtziger, Mitbestimmung, mündige Bürger, Naturschutz und solche unproduktiven Dinge sind längst vergessen. Nach außen gut aussehen und sauber dastehen, das zählt. Und am besten machen, was die da oben sagen. Wie im 19. Jahrhundert. Die da oben heißen jetzt zwar nicht mehr von und zu, sondern sind halt Leute mit Kohle und Pöstchen. Und der Gott, den sie anbeten, heißt Profit.«
Ich ignorierte das, denn ich persönlich konnte nur hoffen, dass mein Mann auch weiter viel Profit machte.
»Wie haben Sie Friederike kennengelernt?«
»Wie ich fast alle Leute kennenlerne. Durch den Hund. Ich nehme herrenlose Hunde aus spanischen Tötungsstationen auf, bis sie wieder vermittelt werden können, aber um mir das leisten zu können, betreibe ich noch eine Hundepension. Sie hatte aus ihrer Zeit vor der Ehe noch einen kleinen Pudel. Natürlich mochte ihr Mann Whisky nicht …«
»Er trinkt keinen Whisky?«
»So hieß der Hund!«
»Ach so.«
Dieses Volk entwickelte bei wenigen Dingen so viel Phantasie wie bei den Namen, die es seinen Haustieren gab. Die Kinder hießen alle Lena-Marie und Kevin-Jan, aber bei den Viechern ließ man den geheimsten Wünschen freien Lauf. Hätte ich selbst einen Hund, würde ich ihn Kaviar nennen. Ich liebte Kaviar, obwohl er inzwischen fast schon gewöhnlich war. Kaviar, ein Ei, Crème fraîche, ein russischer Blini, Zitrone und ein Glas Champagner. Mehr brauchte ich nicht für ein einfaches Mittagessen. In Paris gab es auf den ansonsten total bourgeois gewordenen Champs-Élysées ein reines Kaviarrestaurant. Es wurde von einem schlauen Armenier geführt. Er kannte mich mit Namen und begrüßte mich mit vier Küsschen. Auf diese Lebensleistung war ich stolz.
»Er mochte den Hund nicht, der ihm da und dort im Wege war. Für solche Anlässe – Wochenendtrips nach Berlin oder lange Ballnächte – brachte sie ihn zu mir. Beim Abholen haben wir uns immer ein wenig unterhalten. Nach Whiskys Tod hat sie mich ab und zu besucht. Wir sind spazieren gegangen, mit irgendeinem meiner Schützlinge, der Auslauf brauchte. Sie war sehr gutmütig.«
Typisch Friederike, dachte ich.
»Na ja, so kam es schließlich dazu. Ich hatte das nicht geplant. Sie war eigentlich auch nicht mein Typ, aber irgendwie wirkte sie immer so traurig und verloren. Ich habe sie auch getröstet, als ihre Mutter starb. Das hat sie sehr getroffen, denn sie hing sehr an ihr. Sie hat ihre Mutter oft besucht und ihr alles aus ihrem Leben mit diesem Polit-Angeber erzählt. Welche Einladung und wo und wann. Welcher Empfang, welche Theaterpremiere. Die Mama sollte stolz sein, dass sie es in die besseren Kreise geschafft hatte.«
»Das hat sie auch.«
»Ich habe sie manchmal damit aufgezogen.« Er schüttelte schuldbewusst den Kopf. »›Du bist doch kein kleines Mädchen mehr‹, habe ich gesagt. ›Mach doch, was du willst, und schiel nicht dauernd nach deiner Mutter!‹ Aber sie war ja Lehrerin, die Friederike. Wusste immer was dagegen zu sagen. ›Jedes Kind will seiner Mutter gefallen‹, hat sie gesagt. ›Das ist die Erste im Dasein, die dich lobt oder schimpft, und das prägt für den Rest des Lebens. Und Mama wollte immer, dass ich etwas Besonderes bin.‹«
Ich dachte an meine eigene Tochter. Wollte ich, dass sie etwas Besonderes war? Eigentlich nicht. Ich wollte, dass ich etwas Besonderes war. Samantha sollte mich vielleicht nicht unbedingt blamieren, aber ansonsten ihr Leben gestalten, wie sie wollte.
Der Riese zuckte die Schultern. »Also, ich kannte das so nicht. Meine Mutter hat uns geliebt, egal wie wir aussahen. Als sie alt wurde und nicht mehr allein wohnen konnte, haben wir sie aufgenommen. Sie kam aus Höfen, bei Wildbad droben. Saß immer dahinten im Eck, im Herrgottswinkel, ganz zufrieden, und löste Kreuzworträtsel. Für sie waren wir die wunderbarsten Kinder der Welt.«
»Wie lange ging Ihr … Verhältnis?«
»Was für ein Wort!«, erwiderte er nachdenklich. »Nicht lange.
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