Tod im Albtal
Drei, vier Monate. Ich habe Schluss gemacht, schon vor einiger Zeit, nachdem sie diesen bösen Leserbrief geschrieben hatte. Wir hatten einen Riesenkrach deswegen. Sie wusste genau – wenn diese idiotische Motorradstraße hier an der Alb entlang gebaut wird, müssen wir raus, die Petra und ich, denn das Haus steht direkt auf der geplanten Strecke. Insgesamt müssten auf der ganzen Strecke drei Gebäude weichen, eins davon unseres. Der Campingplatz würde nur ein paar Quadratmeter verlieren.«
Ich musste ihm recht geben. Häuser abzureißen und Wiesen zu opfern, damit ein paar durchgeknallte Harley-Fahrer ungestört Kurven in den Schwarzwald ziehen können, war Schwachsinn. Ich beschloss, Nicolaus darauf anzusprechen. Erstaunt stellte ich fest, dass ich zum ersten Mal in unserer Ehe das Bedürfnis verspürte, mich in eine öffentliche Angelegenheit einzumischen.
Bleibtrau fuhr verbittert fort: »Das Haus ist nur gemietet. Der Vermieter wohnt auf Mallorca. Er wird dem Abriss zustimmen, wenn das Geld stimmt. Und wir werden mit den vielen Hunden nie wieder solch ein Haus finden. Vielleicht hätte ich mich bei der Polizei melden sollen, aber warum? Ich habe sie nicht umgebracht. Um Gottes willen!«
»Wie war Friederikes Einstellung zum Ausbau der Straße?«
»Zuerst war sie vehement dagegen. Friederike war zwar eigentlich kein sehr politischer Mensch, aber sie hat durch mich die Problematik vielleicht klarer gesehen. Die Alb müsste für diese Motorradautobahn an manchen Stellen begradigt oder in ein betoniertes Flussbett gelegt werden. Man sieht in Baden-Baden an der gezähmten Oos, was das bedeutet. Russenpipi sagt meine Schwester jetzt dazu. Sie ist eine radikale Naturschützerin. Ist auch immer nach Stuttgart zum Demonstrieren gegen den Bahnhofsbau gefahren.«
So eine, dachte ich. Demonstrieren würde ich persönlich nur, wenn Dior an die Chinesen verkauft werden sollte.
»Und der Verlust an Wiesen und Biotopen wäre unverantwortlich. Friederike wollte mit ihrem Mann sprechen und ihm die Anliegen der Naturschützer erklären. Seine Partei macht sich im Landtag ja stark für den Ausbau. Und dann vollzieht sie urplötzlich diese Kehrtwende und erzählt überall, man könne den Fortschritt nicht aufhalten. Ich konnte es einfach nicht verstehen.«
»Ich schon«, erklang eine dunkle, aber schneidende Stimme im Hintergrund. Die Frau, die im Türrahmen erschien, wäre selbst für mich als Stilberaterin eine zu große Herausforderung gewesen. Groß, dürr, Hakennase, ausgeleierte Schlabberjeans und ein Sweatshirt, das durch Hunderte von Wäschen nichts von seiner Hässlichkeit verloren hatte. Wahrscheinlich aus einem der Durchschnittsklamottenläden irgendwo auf der Kaiserstraße, wo die einkauften, die es nicht besser wussten. »Schnitt, Material, Verarbeitung«, predigte ich meinen Kundinnen, »darauf müsst ihr achten. Und auf Exklusivität. Geht mit abgewendetem Kopf an Geschäften vorbei, in denen eure Nachbarin einkauft. Denn egal wie sie aussieht – für euch ist es garantiert der falsche Laden.«
»Das ist meine Schwester Petra. Petra Bleibtrau!«
Petra machte sich nicht die Mühe einer üblichen mitteleuropäischen Begrüßung. Sie wirkte zerzaust und verschwitzt. Ungepflegt. Der würde ich nicht mal meinen Goldfisch als Patienten anvertrauen.
»Es war das Geld«, fuhr sie fort. »Das Geld hat gewonnen, wie immer. Ihr Mann besitzt doch mehrere Eigentumswohnungen in Herrenalb. Und die steigen ganz hübsch im Wert, wenn der Ort zum Event wird, wie man so sagt. Wenn er Raser aus der ganzen Welt anzieht. Immobilien verdoppeln sich, sagen manche, die sich auskennen. Dann wäre sie eine wohlhabende Frau gewesen.«
Der Bär fuhr herum. »So war sie nicht, Petra. Sie war nicht geldgierig.«
»Nein? Warum dann diese plötzliche Wende? Warum hat sie versucht, die ›Töchter des Albtals‹ mitsamt ihren feinen reichen Männern von dieser idiotischen Straße zu überzeugen? Du hast dich von ihr blenden lassen.«
Eine verknöcherte Naturfanatikerin. Eine unschöne Person. Einsam. Und dann der abtrünnige Bruder. Aber keine Menschenkennerin. Friederike war keine Frau gewesen, die blendete. Eher hatte sie den Glanz von anderen reflektiert. Aber wenn mich nicht alles täuschte, lag da echter Hass in der Stimme von Petra Bleibtrau.
Genügend Hass, um zu töten?
Als ich ging, warf ich noch einen Blick auf die Geschwister.
Der Mann sah aus wie ein Bär. Doch Bären sind Raubtiere, sie können gefährlich werden. Und
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