Tod im Albtal
Tolles aus. Ich weiß doch, was meinem kleinen Mädchen steht.
Und dann kam er näher. Vielleicht dachte sie, er würde sie küssen.
Verlorene Tochter, komm, ich will dich umarmen. Doch dann war es eine Umarmung ohne Ende geworden. Die Hände hatten fester und fester zugedrückt.
Friederike und Janine hatten den Mörder gekannt und ihm offenbar vertraut. Er hatte also nichts Furchterregendes an sich. Er war kein Fremder. Man traute ihm nichts Böses zu. Er stammte aus unseren Kreisen!
Und damit schieden sowohl Petra Bleibtrau als auch Sigrun Gramlich aus.
Mir schwirrte der Kopf.
Ich würde keine Chance bekommen, nochmals mit Janine zu sprechen. Ihre Mutter schirmte sie vor mir ab. Und die kleine Schlange würde die Erpressung natürlich niemals zugeben, nachdem sie nun verhätschelt und bedauert wurde. Außerdem fürchtete sie vermutlich um ihr Leben, wenn sie uns alles gestand. Ihr war klar geworden, dass er sie immer und überall erwischen konnte. Ende einer Kindheit.
Ich dehnte und streckte mich in meinem Auto. Stieg kurz aus. Um mich herum lagen die renovierten und schönen alten Fabrikgebäude der einstigen Spinnerei, die zu schicken Büros umfunktioniert worden waren. Große, gepflegte Grünflächen zwischen den Gebäudekomplexen wirkten fast amerikanisch. Unweit davon plätscherte die Alb, der Berg war nahe an das Idyll herangerückt. Junge Leute verließen lachend die Büros, manche musterten mich neugierig. In diesen Räumen waren EDV -Firmen und ein Callcenter untergebracht. Alle Angestellten teilten sich ein Café und eine Kantine. Auf den Parkplätzen standen kleine freche Autos, Fahrräder und Motorräder.
Wahrscheinlich war vierzig hier das Höchstalter, wenn man einen Job haben wollte. Das heißt, ich wäre zu alt. Plötzlich wurde mir klar, dass ich noch niemals im Leben ein Vorstellungsgespräch gehabt hatte. Außer bei meinem Mann im Ehebett.
Als ich wieder hinter das Steuer rutschte, hatte ich einen Entschluss gefasst: Ich würde weiterhin meiner ursprünglichen Spur folgen. Alles sprach dafür: Einer der Männer, die Janine oben im ersten Stock gesehen hatte, war Friederikes Vater.
Er hatte das Kästchen gestohlen, es untersucht und darin den Beweis für seine Vaterschaft gefunden. Ihm war klar geworden, dass er die unliebsame Tochter mit ihrer unerwünschten Liebe nicht mehr loswerden würde. Am anderen Tag hatte er Friederike umgebracht.
Seit dem Tod ihrer Mutter vor jetzt drei Monaten hatte Friederike das Kästchen besessen. Dadurch hatte sie endlich erfahren, wonach sie seit Langem gesucht hatte: den wahren Namen des Mannes, der sie gezeugt hatte. Da sie Horst aber erst kurz vor ihrer Ermordung von der Existenz des ominösen Kästchen erzählt hatte, musste sie mit ihrem Wissen in den Wochen davor allein gewesen sein.
Vermutlich hatte sie den Mann kontaktiert, und es war zu Gesprächen zwischen abweisendem Vater und der nach Liebe hungernden Tochter gekommen. Vielleicht hatte er sie beschworen, ihn nicht zu verraten? Sie aber mit ihrer ehrlichen Naivität hatte darauf bestanden, dass er sich endlich zu ihr bekannte.
Und sie wollte ihm zeigen, dass sie etwas konnte und etwas darstellte. Er sollte sich nicht schämen. Sie hatte deshalb ihr Liebesverhältnis mit Robert Bleibtrau abgebrochen und einen Streit mit ihm riskiert, indem sie für das umstrittene Motorradprojekt kämpfte, das ihre Wohnungen aufwerten und Geld in ihre eigene Kasse spülen würde.
Oder hatte sie urplötzlich für den Straßenausbau plädiert, um Tibor Lodemann, ihrem richtigen Vater, aus seiner finanziellen Patsche zu helfen? Lodemann war das einzige Bindeglied zwischen allen bedrohlichen Elementen in Friederikes Leben. Er wäre ein Nutznießer der neuen Touristenattraktion, für die sich Friederike überraschenderweise einsetzte, und er war alt genug, um ihr Vater zu sein. Auf der Party der Schmieds war er eingeladen gewesen, und er hatte sich abends oben im ersten Stock aufgehalten.
Damit hatte Tibor Lodemann alle Voraussetzungen für einen Verdächtigen im Mord an Friederike. Hatte Tibor Lodemann für den Samstagmorgen eigentlich ein Alibi?
Auch wenn ich es nicht gerne tat – ich musste dringend mit Hagen Hayden sprechen. Einer der Männer, die Janine oben im ersten Stock gesehen hatte, war Friederikes Mörder.
Fast erleichtert, dass ich innerlich etwas ruhiger geworden war, fuhr ich wieder los.
Und merkte nicht, dass ich einen fatalen Gedankenfehler machte.
* * *
Hagen reagierte sarkastisch
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