Tod im Albtal
Ganzkörpertattoos?«
»Kein Bedarf. Kann ich gehen?«, fragte ich und stand auf, als er nachlässig nickte. »Lieber Herr Hayden. Wenn Sie Ihre Karriere weiter so vorantreiben, werden Sie außer im Urlaub kaum jemals über Ettlingen hinauskommen. Zwei Faktoren behindern Ihre Entwicklung: ein ausnehmend schlechter Kleidergeschmack und Ihre fehlende Fähigkeit, ein Mordmotiv zu sehen, selbst wenn es Ihnen auf dem Serviertablett präsentiert wird.«
Hagen lachte. »Ich habe Ihnen das schon einmal gesagt: Das sind Geschichtchen wie aus englischen Damenkrimis. Ich fürchte, Sie sind trotz Ihres coolen Auftretens ein wenig romantisch und naiv, meine Verehrte.«
»Ich hätte auch noch andere Motive zu bieten, wenn Ihnen dieses nicht gefällt, aber ich denke, daran haben Sie auch kein Interesse. Also – wir hören voneinander.«
»In Sachen Friederike? Lieber nicht«, sagte Hagen Hayden. »Noch mehr Motive? Genauso schlüssig wie geheimnisvolle Schatullen und verschwundene Väter? Oder war es umgekehrt?«
»Ja. Andere Motive«, genoss ich meinen kleinen Triumph, bevor ich die Tür schloss, »und sie liegen rechts und links von der Straße nach Herrenalb! Doch Sie werden sie nie finden, da Sie die Welt nicht mit Friederikes Augen sehen können.«
Kurz dachte ich an eine sehr verwirrt wirkende und sehr zerzauste Petra Bleibtrau und ihren einsamen Spaziergang. Genau zur selben Zeit war Janine angefahren worden.
»Wir sehen uns ohne Mordfall wieder?« Milde lächelnd, wie man Opa und Oma nach einem lästigen Kaffeebesuch an die Tür bringt, geleitete mich Hagen auf den Gang. Seine Hand lag warm zwischen meinen Schulterblättern. Ein uniformierter Polizist kreuzte unseren Weg und warf ihm jenen anerkennenden Blick zu, mit dem Männer gewisse Siege quittierten.
»Sie werden nichts mehr von mir hören, Herr Hayden. Außer im Erfolgsfall.«
»Was haben Sie als Nächstes vor? Nur, damit ich möglichst viel von Ihnen lernen kann, meine Liebe.«
»Ich werde Friederikes Vater finden!«
* * *
Erfreulich in meinem Leben war derzeit allein die Anwesenheit der süßen Schneeflocke. Snowflake . So nannte auch ich jetzt unsere Amerikanerin, seit sie mir erzählt hatte, dass sie ab Oktober in der Karlsruher Neuinszenierung von Tschaikowskys »Nussknacker« unter Elenas künstlerischer Oberleitung eine solche darstellen würde.
»Worum geht’s denn bei der Tanzerei?«, fragte mein Mann gönnerhaft.
Lavinia sah ihn an, als habe er einen Scherz gemacht. In etwas mangelhaftem Deutsch brachte sie hervor: »Es geht um ein Mädchen, das durch einen Nussknacker gezeigt wird wie von eine Schlacht zu träumen.«
»Ein Nussknacker?«, fragte Nicolaus. »Schwierig. Kann ganz schwer als Büroeinrichtung abgesetzt werden.«
Lavinia und ich sahen einander an. Ich lächelte, und sie lächelte zurück.
Ein schönes Mädchen. Intensive dunkle Augen und ein brennender Ehrgeiz. Ich hatte bemerkt, dass sie sogar spätabends noch in ihrem Zimmer Tanzfiguren übte.
Ob sie allerdings eine Schneeflocke sein würde, die ein wenig aus der Reihe tanzte und damit etwas mehr beachtet wurde als der Rest der weißen Pracht, würde sich erst im Laufe der Proben herausstellen, sagte sie. Nur heraus aus dem Corps de Ballet wollte sie. Eine Solorolle.
Snowflake war ansonsten wie alle Amerikaner, die ich bisher kennengelernt hatte: Supernett. Höflich. Unkompliziert. Gesunde Zähne, gesundes dichtes Haar und ein Teint so klar wie der Colorado Creek. Zudem war sie unglaublich gelenkig, schlank sowieso und dabei so energisch wie ein Stück Draht. Ich sah sie meistens an Äpfeln herumknabbern oder Joghurts löffeln. »Wir müssen nicht zu dick werden, aber Elena achtet auch darauf, dass wir nicht sind zu mager! Glaubst du, dass wir im Schneeflockenwalzer wie German Knödels aussehen sollen?«
»Sag ›dürfen‹ und nicht ›müssen‹, denn must not ist im Deutschen ›nicht dürfen‹«, erklärte ich ihr. Sofort schrieb sie sich das auf. Die Kleine war ehrgeizig und aufgeweckt. Ich wünschte mir, meine eigene Tochter, die mit einem dicken Buch tagelang auf dem Sofa liegen und selbstvergessen Kekse dazu futtern konnte, hätte etwas von ihr.
Snowflake war wild entschlossen, schnell Deutsch zu lernen und ansonsten Karriere im Ballett des Karlsruher Theaters zu machen. Und von da aus sollte es weitergehen. Stuttgart. Vielleicht Wien. Paris. Soli wollte sie tanzen.
Elena war ihr natürlich ein Vorbild, wenn auch eins, vor dem sie gehörigen
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