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Tod im Albtal

Tod im Albtal

Titel: Tod im Albtal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Klingler
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wofür man von aller Welt respektiert wurde. So wie Elena. Ein neues Gefühl kam in mir auf: Plötzlich erschien es mir wichtig, respektiert zu werden.
    »Komm mit, wir geben ihr das Tape persönlich!«, forderte sie mich auf.
    Ich nahm ihr Angebot gerne an und folgte ihr durch jene Gänge, die dem Normalsterblichen verwehrt sind. Manchmal veranstalteten die »Liebhaber des Staatstheaters« eine Führung durchs Theater, an der ich auch schon teilgenommen hatte. Dabei wurde man jedoch wie eine Herde Schafe über die Bühne, durch die Kulissen, Treppen hinauf- und Leitern hinabgetrieben und hatte kaum Zeit, sich umzusehen.
    So viel Exotik oder Phantasie auf der Bühne herrschen mochte, hinter den Kulissen sah es so nüchtern aus wie in einer Bausparkasse. Graue Wände, Stahltüren, plötzliche Seitenarme der langen Gänge, die in stille Winkel führten, aus denen gedämpfte Musik erklang. Dort blies eine Trompete, da sang jemand immer die gleichen Töne. Bürotüren öffneten sich, Leute kamen mit Papieren heraus, gingen in gegenüberliegende Büros, suchten die Toiletten auf – kurz, es herrschte wenig Glamour und viel Alltag.
    Fotos an den Wänden sollten wohl die Kahlheit der nüchternen Gänge auflockern. Meistens handelte es sich um ernst blickende Schwarz-Weiß-Gesichter mit Hornbrillen, die aussahen wie Nachrichtensprecher. Frühere Intendanten, Schauspieler, Musikdirektoren, Bühnenbildner. Aber auch ganz normale Leute wie »Jubiläum: Dreißig Jahre Bühnenarbeiter und Garderobieren« oder »Der Oberbürgermeister dankt den Feuerwehrleuten, den Rotkreuzhelfern, dem Theaterarzt«.
    Ich ließ den Blick über die Fotos schweifen und war enttäuscht. Alles sehr wenig spektakulär. Jetzt verstand ich, warum im Radio immer vom Kulturbetrieb die Rede war. Es war tatsächlich eine Art Betrieb, und gefertigt wurde Kunst. Oder besser – allabendlich wurden bunte Träume hergestellt und pünktlich geliefert.
    Wir passierten Kleiderstangen mit dunklen Anzügen und altmodischen Taftkleidern mit Schulterpolstern. Ich berührte eines davon. Es war steif und vermutlich unbequem.
    »Die sind für den ›Kirschgarten‹ von Anton Tschechow!«, erläuterte Elena. »Bin gespannt auf die Inszenierung. Premiere ist ebenfalls Mitte November.«
    Schließlich waren wir in einem Seitenflügel des Irrgartens und damit in Elenas eigenem Reich gelandet.
    An der Wand hingen Poster mit gezeichneten Ballettfiguren und den französischen Bezeichnungen. Ein Schwarzes Brett verkündete die Tourneetermine für die kommende Saison und den Zugabfahrtsplan des Karlsruher Hauptbahnhofs. Der Probenplan für den »Nussknacker« wies viele brasilianische Namen auf. In eine Liste konnte sich eintragen, wer neue Ballettschuhe brauchte. Ein Zettel bot ein Zimmer in einer Zweier- WG  an. Ein Schwarm Asiatinnen kicherte sich an uns vorbei.
    In einem fast leeren, geräumigen Ballettsaal mit verspiegelter Wand und der aus dem Fernsehen sattsam bekannten Stange hielten sich ein paar junge Leute fest, lachten, streckten die Beine spielerisch in Positionen, von denen ich nicht mal wusste, dass sie anatomisch möglich waren. Nicht missverstehen: Ich war nicht unsportlich. Konnte ich mir nicht leisten, denn es gehörte zu meiner Lebensphilosophie, gut auszusehen und schlank zu sein. Die großen Designer schneiderten schließlich meist nur bis Größe vierzig. Doch brachte ich mein Bein nicht in die Waagrechte und konnte in Ruhe dabei noch einen Apfel essen und mich mit meiner Nachbarin unterhalten, so als säße ich in einem Fernsehsessel.
    Ich betrachtete die Tänzer. Die Männer hatten sehnige und drahtige Körper, und die Mädchen waren alle schlank. Sie sahen zart und doch energisch aus. Ihre Gesichter verhießen eine gewisse Intensität. Viele hatten einen osteuropäischen Schnitt.
    Meine Schneeflocke kam angerannt und nahm mit tausend Dank ihre Bänder entgegen. Dann drehte sie eine Art Pirouette, imitierte eine höfische Verneigung und verschwand in einem zweiten, kleineren Saal.
    Elena nahm mich am Ellbogen und führte mich zur Tür. »Sie proben immer in Gruppen. Da hast du gleich mehrere Schneeflocken.«
    Ein Mann in Trainingshosen saß auf einem Stuhl, und eine Sechsergruppe Mädchen hatte sich gerade aufgestellt. »Denkt daran«, rief er mit deutlich hörbarem englischem Akzent, »die  Arabesque  ist kein Schritt, sondern ein Übergang. Das muss fließen.«
    Die Mädchen begannen zu tanzen. Nein: zu wirbeln. Im Hintergrund saß eine ältere Dame

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