Tod Im Anflug
müssen wirklich reden.«
Gespannt harrte Tom auf seinem Platz auf der Wiese aus und zupfte nur zur Beruhigung seiner angespannten Nerven an der einen oder anderen Blüte. Der Appetit war ihm mittlerweile vergangen. Würde er nun alles über den Banküberfall erfahren?
»Mir ist es egal, was du am Telefon gesagt hast, Bernd. Es muss endlich etwas geschehen. Ich kann dir keine freie Hand mehr lassen. Ich sehe ja, wohin das führt. Ärger ist hier vorprogrammiert.«
Bernd war inzwischen aus dem Wohnwagen gestiegen, und die zwei Flügellosen standen sich nun gegenüber. Auge in Auge taxierten sich die beiden, die Hände in Hüfthöhe wie zwei Cowboys in einem alten Western, kurz bevor die tödlichen Schüsse fallen.
»Ich habe dir doch gesagt, dass alles okay ist. Du kriegst die Kohle ja bald«, versuchte Bernd Jupp zu beschwichtigen.
»Das sagst du jetzt schon seit Wochen, aber die Pacht steht immer noch aus. Das gleiche Theater wie letztes Jahr!«
»Du nervst Jupp, ehrlich.«
»Du reagierst ja nicht! Und wie das hier wieder aussieht, den Rasen hast du immer noch nicht gemäht, und das Unkraut kann sich fröhlich bei den Nachbarn ausbreiten. Das ist das letzte Mal, Bernd. Sonst muss ich andere Saiten aufziehen. Ich lasse mir von dir nicht länger auf der Nase herumtanzen. Mir wird schon etwas einfallen, glaub es mir.« Wütend drohte Jupp mit einer Faust.
»Was soll dir schon einfallen? Wenn du Streit willst, den kannst du haben!« Bernd machte einen Schritt nach vorn und baute sich angriffslustig direkt vor dem schmächtigeren Jupp auf. Der war offenbar kurz davor zuzuschlagen.
Tom duckte sich tiefer zwischen Klee und Gras und blieb ganz still. Obwohl er instinktiv flüchten wollte, zwang er sich zu bleiben, um nur ja nichts zu verpassen.
»Na, na, na. Unter zivilisierten Männern regelt man so etwas doch anders, oder?«, mischte sich eine freundliche, aber doch bestimmte Frauenstimme in den Streit ein.
Lotte.
Von allen unbemerkt, war sie näher gekommen und setzte mit ihren Worten dem lautstarken Streit erst einmal ein Ende. Balu, den sie auf dem Arm hielt, bellte zum ersten Mal nicht. Anscheinend war er über den Streit mindestens genauso erstaunt wie Tom. Die beiden Männer trennten sich langsam voneinander, warfen sich dabei aber weiterhin böse Blicke zu. Schließlich ergriff Lotte Jupps Arm, hakte sich bei ihm unter, und die zwei verließen ohne ein weiteres Wort Bernds Parzelle. Der schaute beiden zähneknirschend hinterher. Man konnte ihm ansehen, dass er immer noch wütend war und darauf brannte, seinen Zorn abreagieren zu können.
Da entdeckte er Tom. Ärgerlich stampfte er mit dem Fuß auf und wollte auf den Ganter los, doch Tom hatte sich bereits aus seiner Ecke geschlichen, nahm auf dem Weg Anlauf und flog so eilig davon, dass er in der Kurve beinahe Luzie mit dem Flügel gestreift hätte. Es wurde sowieso Zeit für ihn, seine Suche nach dem Riffler fortzusetzen.
13
Diese Stimme – sie verfolgte ihn.
»Ich …«,
flüsterte sie und Tom spitzte die Ohren.
»Ich habe …«,
hörte Tom wispern.
»Ich habe dich …«,
sagte sie in die Stille, und Tom hielt die Luft an.
»Ich habe dich gesucht.«
Nichts war zu sehen, alles war schwarz. Noch bevor Tom »Wer?« denken konnte, erhob sich die gedämpfte Stimme erneut.
»Und nun habe ich dich gefunden.«
Das war der Punkt, an dem er auch letzte Nacht aufgeplustert und völlig außer sich aus seinem Albtraum erwacht war. Wieder hatte ihm diese unheimliche Stimme zugesetzt. Seit Amulet Rifflers Namen ins Spiel gebracht hatte, geisterte der unbekannte Rabe in allen möglichen furchterregenden Varianten durch Toms Kopf, vor allem im Schlaf. Tom hatte am Nachmittag gemeinsam mit Rio seine anstrengende Suche nach dem Riffler fortgesetzt – ohne Erfolg. Anschließend hatte er bei Ede Brot gefuttert und die
heute
-Nachrichten geschaut, doch er hatte vor Erschöpfung nicht viel mitbekommen, außer dass Petra Gerster wieder einmal eine neue Frisur gehabt hatte. Sofort danach hatte er sich dann einen Platz für die Nacht gesucht und war ziemlich schnell eingeschlafen.
Gerädert schaute er sich um. Soweit er erkennen konnte, saß er immer noch auf demselben Ast, den er zur Nachtruhe aufgesucht hatte. Nilgänse sind die einzigen Gänse, die nicht nur auf Bäumen brüten, sondern sich mit ihren Schwimmfüßen auch an Ästen festhalten können. Um ihn herum war es stockduster und es herrschte Totenstille.
»Ich habe dich gesucht«, sagte plötzlich
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